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Heilpflanzen an der Decke in der Binger Kräuterkirche
Von Günter Schenk

Jesus am Kreuz, umgeben von Pflanzen. Foto: Günter Schenk
Der Turm aus dem 12. Jahrhundert trägt heute eine barocke Haube. Er ist Kern der neugotischen Kirche mitten in Gaulsheim, die in den vergangenen Jahren zur Anlaufstation von immer mehr auswärtigen Besuchern wurde. Hier nämlich wachsen und blühen die Pflanzen am Himmel. Genau genommen sind es Heilpflanzen, die schon Hildegard von Bingen schätzte. Sie linderten Schmerzen und halfen bei vielen Leiden.
Bereits in vorchristlicher Zeit wurden Kräutern bestimmte Kräfte zugeschrieben. Später nutzte die Kirche dieses Wissen. "In der Natur begegnen wir Gott. Wir müssen nur die Tür aufmachen", heißt es in Gaulsheim. Besondere Kraft sagte man den Kräutern in der Zeit zwischen den Festen Mariä Himmelfahrt (15. August) und Mariä Namen (12. September) nach. Auch heute boomt das Kräuterwesen wieder, machen sich immer mehr Menschen auf die Suche nach alternativen Heilmethoden.
Dass Kräuter heilen können, war auch dem Gaulsheimer Pfarrer bekannt, der Ende der 1970er-Jahre die Decke seiner Kirche mit Bildern der gängigsten Heilkräuter ausmalen ließ. Etwa mit der Schafgarbe, die sich in der Kräuterkirche neben Löwenmaul und Rainfarn findet. Im Volksmund galt sie als "Bauchwehkraut", das bei Verdauungsbeschwerden ebenso half wie bei Blutungen. Ihre vielen kleinen Blätter sollten zudem den im Volksglauben von unbändiger Zähllust besessenen Teufel verleiten, sich ständig zu verzählen und so all seine Niedertracht zu vergessen. Zur Teufelsvertreibung wurde einst auch das Johanniskraut verwendet, dessen antidepressive und blutdrucksenkende Wirkung man bis heute schätzt.
Auch die Goldrute in der hintersten Ecke der Kräuterkirche ist in Form harntreibender Tees noch immer ein beliebtes Naturheilmittel. Die Wegwarte nebenan, die blau blüht und mehr als einen Meter hoch werden kann, diente früher oft als Kaffee-Ersatz. Heute vertrauen ihr Naturheilkundler bei Erkrankungen der Milz, Leber oder Galle. Traditionelle Kräuter wie Baldrian oder Kamille sind zu Mariä Himmelfahrt, wenn sie traditionell zum Kräuterstrauß gebunden und in der Kirche geweiht werden, heute oft schon verblüht. Kein Wunder, dass sich in manchem Kräuter- oder Weihbüschel immer mehr Gartenblumen finden. Vielen Kräutern, vor allem, wenn sie als Unkraut gelten, hat man schlicht ihren Lebensraum genommen.
KRÄUTERKIRCHE GAULSHEIM
Pfarrkirche Sankt Pankratius und Sankt Bonifatius, Mainzer Str. 391, 55411 Bingen-Gaulsheim
Die Kirche ist tagsüber gewöhnlich geöffnet. Rund um die Gottesdienstzeiten kann sie immer besichtigt werden. Anmeldung zur Führung unter anfrage@kraeuterkirche.de
Die meisten der Pflanzen, die sich an der Decke der Kräuterkirche finden, hat schon die Heilige Hildegard zur Linderung von Schmerzen und Krankheiten empfohlen. So kam in ihrem Binger Kloster der schon im Alten Testament erwähnte Wermut, der die Durchblutung fördert, häufig zum Einsatz. Ein anderer Küchenhelfer war Liebstöckel, im Volksmund noch heute als Maggikraut bekannt. Mit Mehl, Fenchel und Brennnessel verbacken, tischte man ihn bei Hildegard als Brot bei Magenbeschwerden auf. Getrocknete Blüten des Klatschmohns dienten mit Wasser aufgekocht der Entspannung - ganz so wie Kamille oder Baldrian, die sich ebenfalls an Gaulsheims Kirchendecke finden.