Vor 60 Jahren hatten die Rolling Stones ihren ersten Auftritt - damals noch als „Rollin‘ Stones“. Auf entbehrungsreiche Anfangsjahre folgte eine unglaubliche Karriere.
. „Ladies and Gentleman – Little Boy Blue And The Blue Boys“. Wer bitte?!? Zum Glück benannte sich die leidlich erfolgreiche Musikgruppe um Mick Jagger, Keith Richards und Phil Taylor um, als die Jungs zusammen mit dem Gitarristen Brian Jones und dessen Pianisten Ian Stewart eine neue Band gründeten. Ein Songtitel von Muddy Waters stand Pate für den neuen Namen, den heute jeder kennt: The Rolling Stones.
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Wer saß beim ersten Konzert wirklich am Schlagzeug?
Als die wohl berühmteste Rockband der Welt am 12. Juli 1962, vor unglaublichen, vor unfassbaren 60 Jahren im Londoner Marquee Club ihren ersten Auftritt hatte, verlief der eher unspektakulär. Zeitzeugen erinnern sich, dass die „Rollin’ Stones“ (Spötter behaupten, das fehlende „g“ im Namen hätte sich die Band von einer ihrer ersten Gagen gekauft) ein Set von fünf Stücken gespielt haben sollen. Uneinigkeit herrscht bis heute darüber, wer bei der Premiere am Schlagzeug saß. Während Keith Richards und das spätere Stones-Mitglied Bill Wyman darauf schwören, es sei Kinks-Gründer Mick Avory gewesen, behauptet der, niemals mit den Stones aufgetreten zu sein. Deshalb gilt heute Tony Chapman als Schlagzeuger der ersten Stunde. Egal. Nur wenige Monate später nahm ohnehin Charlie Watts den Platz an den Drums ein – und hatte ihn bis zu seinem Tod 2021 fast 60 Jahre lang inne.
In einer Hollywood-Geschichte wäre der Marquee-Auftritt der Startschuss gewesen für eine kometenhafte Karriere. Tatsächlich aber war es für die Rolling Stones ein, nun ja, steiniger Weg heraus aus der Bedeutungslosigkeit. Die Musik brachte der Band und deren kreativen Köpfen Jones, Jagger und Richards so wenig ein, dass sie zusammen in einer schäbigen Wohnung in Chelsea hausten und mitunter sogar Lebensmittel stehlen mussten. Die Dinge, oder besser: die Steine, kamen ins Rollen, als der Musikmanager Andrew Loog Oldham im April 1963 einen Auftritt der Rolling Stones sah und die Band unter Vertrag nahm. Er baute die Stones als „bösen“ Gegenentwurf zu den eher „brav“ wirkenden Beatles auf und sorgte für einen Plattenvertrag bei der Decca, die kurz zuvor – legendäre Fehlentscheidung! – einen Deal mit den Beatles abgelehnt hatte.
Mit jeder Singleveröffentlichung wurden die Stones erfolgreicher. Auf die erste Nummer 1 in Großbritannien überhaupt, ein Cover von „It´s All Over Now“ (1964), folgte die erste Top-Platzierung eines von Jagger und Richards geschriebenen Titels („The Last Time“, 1965).
Dann kam „Satisfaction“. Bis heute erzählt Keith Richards immer wieder die unglaubliche Entstehungsgeschichte des markanten Riffs für die Ewigkeit, der die Basis des Songs bildet. Er sei, sagt Richards, 1965 eines Nachts aufgewacht, habe sein Diktiergerät eingeschaltet und auf der Gitarre ein paar Akkorde geklimpert, die er zuvor geträumt hatte. Als er am nächsten Morgen das Band abhörte, sei darauf die markante Tonfolge gewesen. Dann habe man gehört, wie das Plektrum zu Boden fiel – und dann Schnarchen bis zum Ende der Aufnahme. „Satisfaction“ mit dem rotzigen, anklagenden, rebellischen Text Mick Jaggers wurde mehr als ein Welthit, das Magazin „Rolling Stone“ nannte den Song „Die Geburtsstunde des Rock“. „Satisfaction“, ein bis heute gültiger Protestsong gegen überbordenden Konsum, ist so untrennbar mit den Stones verbunden wie kein anderes Werk der Band, selbst wenn Jagger schon kurz nach dem Single-Erfolg sagte: „Ich wäre lieber tot, als mit 45 noch ,Satisfaction’ zu singen.“ Inzwischen ist Mick Jagger (ebenso wie Keith Richards) 78 Jahre alt. „Satisfaction“ singt er immer noch bei jedem Konzert.
Das heute abgenutzt klingende Motto „Sex and Drugs and Rock’n’Roll“ verinnerlichten die Londoner Jungs vor allem in den ersten beiden Jahrzehnten der Stones buchstäblich bis zum Exzess. Den Bandkollegen die Lebensgefährtin auszuspannen, wurde zum Wettbewerb. Keith Richards machte Brian Jones Anita Pallenberg abspenstig und hatte eine Affäre mit Mick Jaggers Freundin Marianne Faithfull. Der exzessive Drogenkonsum der Stones brachte Jagger und Richards ins Gefängnis (Richards nahm es locker: „Ich habe kein Problem mit Drogen, ich habe ein Problem mit Cops“) – und katapultierte den immer unzuverlässiger werdenden Brian Jones im Juni 1969 aus der Band. Nur wenige Wochen später ertrank das Gründungsmitglied unter ungeklärten Umständen in seinem Pool.
Nach dem Jahrzehnt der 70er, das von der nach Kritikermeinung kreativsten Phase der Band geprägt war (aus dieser Zeit stammt auch die ikonische herausgestreckte Zunge, ein Logo so berühmt wie das von Coca-Cola oder Adidas), traten Anfang der 80er die Differenzen zwischen Mick Jagger und Keith Richards immer deutlicher zutage. Der Sänger wollte die Stones irgendwann umbenennen in „Mick Jagger And The Rolling Stones“. Keith Richards reagierte, verständlich, verschnupft.
Dass sich die Band dennoch immer wieder zusammenrauft, hat hauptsächlich monetäre Gründe. Die „Rolling Stones“, die längst aller Drogen entsagt haben, sind ein überaus profitables Wirtschaftsunternehmen. Immer neue Stadiontouren, deren Erfindung und Perfektionierung der Gruppe zugesprochen wird, spülen Millionen in die Kassen, in schöner Regelmäßigkeit auch die Veröffentlichung alter Live-Aufnahmen unter anderem von eben diesen Stadiontouren. Sogar mit den Kunstwerken Ron Woods, seit 1975 viertes ständiges Mitglied der Stones, wird ordentlich Geld gemacht. Das Vermögen des „Nesthäkchens“ Wood (75) wird auf mindestens 140 Millionen Euro geschätzt. Mick Jagger bringt es angeblich auf 300 bis 500 Millionen Euro, ebenso Keith Richards.
Keiner der Stones muss also noch dem Text von „Street Fighting Man“ folgend „wie ein armer Junge in einer Rock’n’Roll-Band“ spielen. Dennoch rollen die Steine zu ihrem 60. Geburtstag derzeit wieder durch Europa. Auch wenn der Tod von Charlie Watts schmerzhaft deutlich machte, dass selbst die Mitglieder der Rolling Stones nicht unsterblich sind, so gilt das für die Musik der größten Rockband der Geschichte allemal.