Bilder aus Worten: Marion Poschmann stellt bei einer Online-Lesung des Literarischen Zentrums Gießen ihren Band "Nimbus" vor - einen Tag vor einer Preisverleihung in Bremen.
Von Ursula Hahn-Grimm
Marion Poschmann war 2019 die erste Stipendiatin des Ubbelohde-Hauses. Nun war sie online dem Literarischen Zentrum Gießen zugeschaltet. Foto: dpa
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GIESSEN - Lyrik-Präsentationen können richtig spannend sein. Manche, Romanen und Erählungen den Vorzug gebende Leser mögen da Zweifel haben, doch der Online-Auftritt der renommierten Autorin Marion Poschmann beim Literarischen Zentrum Gießen (LZG) bescherte den Teilnehmern 90 kurzweilige Minuten, und dies auf hohem literarischen Niveau. Das Gelingen der Veranstaltung war auch der klugen Moderation von Kai Bremer (LZG) zu verdanken. Die Autorin war anlässlich des hessenweiten Aktionstages "Tag für die Literatur und die Musik 2021" zu Gast beim Literarischen Zentrum. Ursprünglich wollte die Autorin persönlich nach Gießen kommen, doch da sie am folgenden Tag mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet wurde, zog sie eine Online-Schaltung aus Berlin vor.
Erste Stipendiatin
2019 war Marion Poschmann Trägerin des vom Verein "Zwei Raben" initiierten Otto-Ubbelohde-Aufenthaltsstipendiums und durfte als erste Autorin für insgesamt drei Monate im idyllisch gelegenen Atelier- und Wohnhaus des Malers Otto Ubbelohde in Goßfelden wohnen (siehe weiteren Bericht unten). Beim LZG berichtete Marion Poschmann nun über ihre Zeit in Goßfelden, stellte ihren dort entstandenen Text vor und präsentierte in einem zweiten Lesungsteil Ausschnitte aus ihrem 2020 erschienenen Gedichtband "Nimbus".
Die Autorin wurde 1969 in Essen geboren, studierte Germanistik und Slawistik in Bonn und Berlin. An der Berliner Hochschule der Künste studierte sie Szenisches Schreiben. Heute lebt Marion Poschmann in Berlin. Als Schriftstellerin ist sie seit vielen Jahren etabliert und erfolgreich. 2018 wurde sie ausgezeichnet mit dem Klopstock- Preis für ihren Roman "Die Kieferninseln" (2017), der auch auf den Shortlists für den Deutschen Buchpreis wie auch in der englischen Fassung (The Pine Islands) für den Man Booker Prize 2019 stand.
Für ihr jüngstes Werk nun hatte sie den Preis der Bremer Jury erhalten. Die Jurybegründung zur Vergabe lautet: "Der Gedichtband ,Nimbus' überführt mit großem Formbewusstsein die Tradition der Naturlyrik in das Zeitalter von Klimawandel und Artensterben. Ihre Gedichte fügen Kindheitserinnerungen, präzise Gegenwartsbeobachtung und historische Wissensspeicher zu Naturbildern zusammen, die durch ihren Reichtum an Details bestechen."
Die ausdrucksstarken Naturbilder ziehen sich leitmotivisch durch ihr gesamtes Werk. Im Ubbelohde-Haus hatte sich Marion Poschmann auf die Zeichnungen zu den Märchen konzentriert. Die zwei schwarzen Raben, die Ubbelohde gleich in mehreren Arbeiten gezeichnet hat, stellte die Literatin eindringlich vor. "Hugin" und "Mumin" heißen die Raben Odins in der alten Mythologie, bei Ubbelohde tauchen Krähen als Zeichen des Unheils als flächige Farbe wieder auf. Den schwarzen Vögeln hat Marion Poschmann ein ganzes Gedicht gewidmet.
"der erste Schnee in diesem Jahr und die Krähen gewannen ihr Schwarz zurück, während ich immer weiter verbleichen würde in der Erinnerung dieses Schnees, dieser Krähen, bald war niemand mehr da, den ich kannte..."
Das Verschwinden von Natur, von Pflanzen und Tieren, ist als beherrschendes Thema in dem preisgekrönten Band "Nimbus" herauszuhören. Neun große Kapitel unterteilen die Motive, immer wieder klingt die große nordische Expedition nach Sibirien und Kamtschatka an, schwindendes Eis und schmelzender Schnee sind die literarischen Formeln.
Kai Bremer bewunderte die schönen Bilder, die Marion Poschmann in ihren Gedichten zeichnet. Bilder, die sogleich wieder durch Reflexion und Verdichtung gebrochen werden. Die Form spiele ebenfalls eine wichtige Rolle in ihren Versen, befindet der Literaturwissenschaftler. Da sind beispielsweise acht Zweiteiler hintereinander zu finden, die optische Darstellung bleibt nie dem Zufall überlassen, und auch die akustische Inszenierung ist von besonderer Originalität. Diese Aspekte seien für sie von großem Interesse, bestätigte die Autorin. In diesem Sinne fühle sie sich auch dem "Nature Writing verpflichtet. "Ich klage nicht an, ich versuche in meinen Gedichten, aufzuzeigen", ergänzt die Autorin.
Als Zugabe gewissermaßen trug Marion Poschmann schließlich ihr Gedicht "Pfauenschreie, Pflanzenjäger" vor, eine leicht ironische Würdigung ihrer beiden Tanten Wilma und Gertrud und deren Vorliebe für Rhododendron-Pflanzen. Die Exoten stammen ursprünglich nicht aus Europa, sondern aus den Bergen Chinas. Auch an ihnen hängen, wie an den übrigen Sujets der Autorin, viele Überlieferungen und Geschichten.