Sprache und Virus: Kommunikationsberater Murtaza Akbar spricht im Interview über mediale Hypes, den Sound der Politiker und Begriffe, die bleiben werden.
Von Björn Gauges
Gutes Kommunizieren ist eine Kunst - vor allem mit Maske (von links oben im Uhrzeigersinn): die Ministerpräsidenten Stephan Weil (Niedersachsen) und Markus Söder (Bayern), Österreichs Vize-Präsident Werner Kogler, die Ministerpräsidenten Daniel Günther (Schleswig-Holstein), Armin Laschet (Nordrhein-Westfalen) sowie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Fotos: dpa, Sven Marquardt
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giessen. Sag mir, wie du sprichst - und ich sage dir, wie es um das Coronavirus steht. Seit rund drei Monaten hält die Pandemie die Welt in Atem. Ihr Verlauf, vom Beginn über den Höhepunkt bis zu den allgemeinen Lockerungen, lässt sich dabei auch am Gebrauch der Sprache ablesen. Der Kommunikationsberater, Vortragsredner und Hochschuldozent Murtaza Akbar, den Lesern unserer Kulturseiten seit Langem als "Sprach-Optimist" bekannt, beschäftigt sich intensiv mit dem Phänomen, das sich an Begriffen, Sätzen und Zuschreibungen festmachen lässt. Ein Gespräch über Politiker als Kommunikatoren, mediale Hypes und Begriffe, die noch lange hängen bleiben werden.
Herr Akbar, nennen Sie doch bitte zunächst ein paar Begriffe, die in den vergangenen Monaten neu in Ihren Sprachschatz eingegangen sind.
Da gibt es eine ganze Menge: Pandemie, Durchseuchung, Super-Spreader oder Corona-Knast etwa. Nicht neu, aber plötzlich sehr präsent war die Apokalypse. Die tauchte auf, als es in Europa losging mit dem Virus. Der erste Politiker, der in meinen Augen eine richtig martialische Rhetorik benutzte, war Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er sprach direkt, ans Volk gerichtet, in den Teleprompter hinein. Mit seiner Formulierung eines "Krieges gegen einen unsichtbaren Feind" sorgte er für einen neuen Ton. Damit hat er für mich aber komplett überdreht. Das hat er auch selbst bemerkt. Jetzt spricht er mehr von Menschlichkeit.
Vielleicht wollte er auf diese Weise das Land hinter sich einen? Gerade wegen der unpopulären Maßnahmen, die damals im Land beschlossen wurden. Zumal Politiker wissen: Immer wenn es gegen äußere Gegner geht, schart sich das Volk hinter ihren Staatsführern ...
Gutes Kommunizieren ist eine Kunst - vor allem mit Maske (von links oben im Uhrzeigersinn): die Ministerpräsidenten Stephan Weil (Niedersachsen) und Markus Söder (Bayern), Österreichs Vize-Präsident Werner Kogler, die Ministerpräsidenten Daniel Günther (Schleswig-Holstein), Armin Laschet (Nordrhein-Westfalen) sowie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Fotos: dpa, Sven Marquardt
Vor 20, 30 Jahren hätte das in meinen Augen funktionieren können. Heute hast du so viele Meinungen von Leuten, die auf so vielen unterschiedlichen Kanälen unterwegs sind. Solch eine Rhetorik funktioniert da einfach nicht auf Dauer. Angela Merkel hingegen hat gezeigt, wie es besser geht: menschlich, emotional, dennoch sachlich. Das war top. Hinzu kommt der deutsche Föderalismus, den ja viele auch beklagen. Er hat etwas Gutes, weil er immer wieder Positionen in Frage stellt. Das hat auch dem Sprachgebrauch hierzulande gutgetan.
Wie wurde denn in anderen Ländern mit der Sprache hantiert?
Sie wurde häufig aufgerüstet. Trump etwa hat das Virus erst lächerlich gemacht, dann aber auch Kriegsmetaphern benutzt. Ebenso Boris Johnson in Großbritannien. UN-Generalsekretär Guterres sagte wörtlich: "Wir erklären dem Virus den Krieg." Das war viel zu viel Krieg, das ist keine gute Rhetorik. Krieg bedeutet: Menschen kämpfen gegeneinander. Doch hier geht es ums Miteinander, um die Gesundheit von uns allen. Angela Merkel hat hingegen aus ihren rhetorischen Fehlern von vor fünf Jahren gelernt. Kein "Wir schaffen das" mehr ...
ZUR PERSON
. Murtaza Akbar ist Trainer, Coach und Redner zum Thema Sprache und Kommunikation. Der gebürtige Frankfurter mit pakistanischen Wurzeln ist zudem Geschäftsführer der Agentur Wortwahl und Dozent an der Hochschule Darmstadt im Studiengang Onlinekommunikation. Regelmäßig sind die Beiträge des "Sprach-Optimisten" auf unseren Kulturseiten zu lesen. Er ist für Leser per E-Mail unter info@akbar.de zu erreichen und im Internet unter www.akbar.de zu finden. (bj)
Aber auch in Deutschland hat die Dramatik in der symbolischen Sprache zugelegt. Was ist Ihre Beobachtung?
Einer, der die Lage sprachlich genutzt hat, ist Markus Söder. In der Tonlage liegt er zwischen Macron und Merkel: Er hat nicht vom Krieg gesprochen, das geht bei uns wegen der Historie sowieso nicht. Aber er hat sehr konsequent, sehr klar kommuniziert. Kurze Sätze mit klaren Ansagen. Konkret, verbindlich und im Idealfall transparent. Im Gegensatz dazu Armin Laschet, der sich oft schwammig ausgedrückt hat. So etwa in der Art: "Wir müssen uns öffnen, aber erst nochmal schauen ..."
Was haben Sie noch beobachtet? Gibt es einen Sprachgebrauch, der ins Allgemeine übergegangen ist?
Da ist natürlich das Phänomen der Virologen Drosten, Streeck und Kekulé, die vor der Krise vor allem wissenschaftlich kommunizierten. Doch dann kam Corona und hat mit seiner Wucht alle überrascht. Vor allem Christian Drosten stand innerhalb weniger Tage unter dem Brennglas von Bundesregierung, Politikern, Medien, der ganzen Bevölkerung. Das muss man erst einmal aushalten. Ich finde es großartig, wie er es macht. Was mir allerdings nicht gefiel, war die Omnipräsenz der Virologen. Der tägliche Podcast, die tägliche Pressekonferenz des Robert-Koch-Instituts. Viele Wasserstandsmeldungen, das war keine gute Idee. Jetzt haben sie ihre Auftritte reduziert. Ich kann das aber auch verstehen. Es gab einen riesigen Hype.
Das haben die Virologen vermutlich selbst nicht absehen können ...
Sicher, es gab ja einen großen medialen Druck. Die Wissenschaftler nutzen jetzt verstärkt Soziale Medien und damit eigene Kommunikationskanäle, um sich direkt an die Öffentlichkeit zu wenden.
So wie gerade Drosten, der sich über Twitter mit der Bild-Zeitung angelegt hat!
Ja, menschlich ist das absolut verständlich, aber das hat er mit seiner Kompetenz und Erfahrung gar nicht nötig. Aussagen von ihm auf Twitter wie 'Kekulé ist das egal, er feuert trotzdem' oder 'Ich habe Besseres zu tun' sollte er lieber vermeiden und sich nicht treiben lassen. Denn insgesamt kommuniziert er sehr professionell.
Wird die Wirkung von Sozialen Medien unterschätzt?
Seit dem Wahlsieg Trumps dank Twitter sicher nicht mehr. In Interviews der klassischen Medien wurde Trump immer eingebettet in die Berichterstattung, er wurde eingeordnet, seine Aussagen kommentiert. So hätte er nicht gegen Hillary Clinton gewonnen. Über seinen eigenen Kanal gingen und gehen seine polarisierenden Aussagen ohne jeden Filter raus. So traurig es ist, aber genau damit punktet er und spaltet die Bevölkerung in Unterstützer und Gegner.
Stellt sich die Frage: Wenn Virologen sich direkt ans Publikum wenden können, fehlt dann nicht auch der mediale Filter?
Ja, das kann auch gefährlich sein. Nehmen wir den Begriff Durchseuchung, den Drosten verwendet hat. Sehr angsteinflößend, das hatte eine enorme Wirkung, die er nicht abschätzen konnte! Er bekam auch viel Gegenwind und hat sich ja auch beschwert: "Ich komme mir wie eine Comicfigur vor, meine Darstellungen werden verkürzt. Es gibt Fake News zu meiner Person." Er durchlief da innerhalb weniger Wochen einen kompletten medialen Crashkurs. So etwas dauert normalerweise Jahre. Dass er trotzdem in seinem Podcast so sachlich bleibt, ist beeindruckend.
Und wo stehen wir gerade sprachlich?
Erst kam medial die Apokalypse, die Hysterie, Angst und das Dramatisieren. Dann kam die Gegenbewegung, der Versuch der Harmonisierung und Hashtags in Sozialen Medien wie #GemeinsamgegenCorona oder #WirbleibenZuhause. Das funktioniert mittlerweile beides nicht mehr. Die Aufmerksamkeitsspanne der Leute ist endlich. Das sieht man beispielsweise an der Fußball-WM, die dauert sechs Wochen, das ist eine gute Zeitspanne. Diesmal geht das einfach immer weiter, du kannst diese permanente Anspannung aber nicht aufrechterhalten. Jetzt entstehen wieder zahlreiche unterschiedliche Gruppen, es gibt Demos.
Man kann aber doch nicht erwarten, dass alle langfristig mit einer Stimme sprechen?
Nein, natürlich nicht. Das Gemeinsame splittet wieder auf. Am Anfang drangen auch nur die Minister öffentlich durch. Da hast du gesehen, wie verzweifelt etwa FDP-Chef Lindner versucht hat, sich Gehör zu verschaffen. Die extreme Linke, die extreme Rechte sind auch nicht durchgedrungen, für die gab es einfach keinen Platz. Jetzt ist die Spielfläche wieder etwas freier und das birgt Gefahren. Vielfalt ist grundsätzlich schön, aber ich mache mir auch Sorgen.
Und es gibt neue Schlagwörter ...
Maulkorb, Beschneidung der Grundrechte, Hygiene-Demos, Covid-Idioten. All das bekommt eine große mediale Aufmerksamkeit. Die Mehrheit steht vermutlich wie meist in der Mitte - und schweigt. Das ist normal. Aus meiner Sicht als Kommunikationsberater sollte Sprache bei einem Thema dieser Dimension zusammenführen. Merkel macht das vorbildlich und steht in der Beliebtheitsskala nicht verwunderlich wieder auf Platz eins.
Gibt es Begriffe, die im Deutschen hängenbleiben?
Eine Menge. Pandemie natürlich, das kennt jetzt jeder. Durchseuchung.
Und dann sind da noch die englischsprachigen Begriffe ...
Lockdown und Shutdown, wobei viele vermutlich immer noch nicht den Unterschied kennen. (Lockdown ist ein komplettes Herunterfahren, Shutdown ist eine Arbeitspause, Anm. d. Red.). Dann das Social Distancing. Das Homeoffice, bei den Briten ist das übrigens das Innenministerium. Und das Homeschooling. Das haben wir aus Schweden übernommen. Bei uns war das Unterrichten zu Hause bislang gar nicht erlaubt. In Schweden schon, wegen der manchmal weiten Wege zu den Schulen. Jetzt ist das Homeschooling auch bei uns angekommen - nicht nur sprachlich.