Der Deutsche Jugendliteraturpreis feiert Fantasie und Vielfalt
Einladung zum Weiterlesen: Ein Überblick über die ausgezeichneten Bücher
Von Heide Germann
Cornelia Funke grüßt per Video: Die Deutschen Jugendliteraturpreise wurden von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey im Berliner Grips-Theater vergeben.
(Foto: David Baltzer)
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In normalen Jahren ist die Verleihung des Deutschen Jugendliteraturpreises ein Höhepunkt der Frankfurter Buchmesse. Doch in diesem Jahr war alles anders: Der Arbeitskreis für Jugendliteratur verlegte die Verleihung ins Berliner Grips-Theater, wo Familienministerin Franziska Giffey die Preisträger per Live-Stream überraschte. Vergeben wurde auch der Preis für ein Gesamtwerk, den Cornelia Funke als „Meisterin des Geschichtenerzählens“ für ihr vielseitiges, altersübergreifendes Werk gewann. „Dabei beherrscht sie reale Alltagsgeschichten für Jüngere genauso wie narratologisch komplexe Abenteuer für Jugendliche“, so die Sonderpreisjury.
Wir bringen eine kommentierte Übersicht über die in verschiedenen Kategorien ausgezeichneten Bücher, Autoren und Illustratoren – als Anregung zum Weiterlesen.
Das beste Bilderbuch stammt von Mac Barnett (Text) und Jon Klassen (Illustration): „Dreieck Quadrat Kreis“ ist bei Nordsüd in Zürich erschienen, 48 Seiten, 45 Euro. Ab fünf.
Ungewöhnlich ist dieser Titel in mancherlei Hinsicht. Eigentlich sind es drei Bilderbücher, die miteinander verflochten sind. Es ist ein Spiel mit Formen, in dem jede Form ein Typ für sich mit eigener Geschichte ist: zu lesen als „Dreiecks Streichgeschichte“, „Quadrats künstlerisches Experiment“ und „das unheimliche Abenteuer von Kreis beim Versteckspiel hinter dem Wasserfall“. „Intelligent und gewitzt“, lobt die Jury.
Für das beste Kinderbuch wurde der Autor Will Gmehling ausgezeichnet. „Freibad. Ein ganzer Sommer unter dem Himmel“ ist im Wuppertaler Verlag Peter Hammer erschienen, 160 Seiten, 14 Euro. Ab neun.
Nur eine Familien-, eine Sommer-, eine Schwimmbadgeschichte? Für die beherzte Rettung eines kleinen Kindes im Hallenbad bekommen die drei Bukowski-Geschwister eine Saisonkarte fürs Freibad. Die kommt absolut gelegen, denn in der Familie ist das Geld knapp. Aber die Kinder sind zufrieden mit allem, setzen sich Ziele. Der Jüngste, Robin, der sich mit allem schwertut, wird schwimmen lernen, der Ich-Erzähler Alf vom Zehn-Meter-Turm springen und die Schwester Katinka Französisch lernen und 20 Bahnen kraulen. Es passiert nicht viel in dieser Geschichte. „Das Besondere ist die Darstellung der Familie: Zusammenhalt, gegenseitige Unterstützung und Verständnis füreinander sind so selbstverständlich, dass man mit den Bukowskis sofort befreundet sein möchte. Dass das ganz ohne Pathos, ohne viel Aufhebens und trotzdem spannend erzählt wird, ist das große Verdienst dieses herausragenden Kinderromans“, hieß es zur Begründung des Preises.
Bestes Jugendbuch ist „Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte“ von Dita Zipfel (Text) und Rán Flygenring (Illustrationen). Hanser-Verlag, 192 Seiten, 15 Euro. Ab zwölf.
Lucie Schmurrer, 13 Jahre alt, braucht Geld, um zu Hause ausziehen zu können. Da ist ihr jeder Job recht. Doch der erweist sich als absolut bizarr, denn es geht um den Entwurf eines Kochbuchs mit magischen Zutaten nach den Ideen eines verrückten alten Mannes. Wahnsinn kennt Lucie aus ihrem Teenie-Alltag, aus den Beziehungen zur Mutter, erster Liebe und Beziehungschaos in der Schule. Daraus entsteht ein Buch, frech, voller Humor und skurriler Pointen erzählt und markant illustriert, bis in den völlig irrealen, dramatischen Krimi-Schlusspunkt mit neuem Ausblick für Lucie.
Bestes Sachbuch: „A wie Antarktis. Ansichten vom anderen Ende der Welt“ von David Böhm. Karl-Rauch-Verlag, 76 Seiten, 22 Euro. Ab acht.
Ein außergewöhnliches Buch über die Antarktis, einen noch weithin unbekannten Ort! Er ist ein Ort der Extreme, dessen ewiges Eis in der vermeintlich letzten, unberührten Wildnis von unschätzbarem Wert ist. „Dieses großformatige und hochwertig ausgestattete Sachbuch nimmt den faszinierenden, aber größtenteils noch unbekannten Erdteil in den Blick und lässt staunen (und nachdenken) über dessen Vielfalt, Unwirtlichkeit und Schönheit“, lobt die Jury und hebt neben dem Inhalt auch „die klug kombinierte, visuelle Gestaltung mit Aufklappseiten, Fotografien, Karten, Comicelementen, Infografiken und Illustrationen“ hervor.
Die Jugendjury entschied sich für ein Buch von Sarah Crossan. „Wer ist Edward Moon?“ kommt aus dem Mixtvision-Verlag, 357 Seiten, 17 Euro. Ab 14.
Die Jugendjury hat schon öfter bewiesen, dass sie harte Themen nicht scheut, wie Fragen nach Schuld und Vergebung, nach dem Wert des Lebens und dem Sinn der Todesstrafe. Darum geht es in diesem Buch: Joe, 17 Jahre alt, besucht seinen großen Bruder Ed, der, des Mordes an einem Polizisten angeklagt, in der Todeszelle sitzt. Kurz vor dem Hinrichtungstermin beteuert Ed in einem Brief an Joe, dass er unschuldig ist. Doch das Todesurteil ist längst gefallen. Ein ungewöhnliches Buch, ein ungewöhnliches Thema, überzeugend dargestellt. Sarah Crossan hat die Geschichte in eine lyrische Form gefasst, „die den gewichtigen Inhalt auf das Wesentliche reduziert, die tragischen Umstände auf den Punkt bringt.“ Viel Platz ist zwischen den Zeilen, Raum zum Nachdenken – „über die Bedeutung von Familie, über das Abschiednehmen sowie über gesetzliche Willkür, die Leben zerstört. Das Buch ist ergreifend und fesselt bis zur letzten Seite“, urteilen die jungen Juroren.
Der Sonderpreis „Neue Talente“ geht an Rieke Patwardhan. „Forschungsgruppe Erbsensuppe oder wie wir Omas großem Geheimnis auf die Spur kamen“ heißt ihr Buch, iIllustriert von Regina Kehn, aus dem Knesebeck-Verlag (144 Seiten, 13 Euro, ab acht).
Nils und Evi sind ungleiche, doch gute Freunde. Sie kümmern sich um die Neue in der Klasse, um Lina, die mit ihrem Vater aus Syrien geflohen ist. Die drei werden ein Team, um etwas aufzuklären: Nils’ Oma wird immer wunderlicher, kocht schlecht, hortet massenweise Erbsensuppe in Dosen. Was ist da los? Die Freunde kommen einem sehr ernsten Hintergrund auf die Spur: Die Oma hat ihre Fluchterlebnisse aus Weltkriegstagen nicht verwunden. Hat nun Lina nicht ganz ähnliches erlebt, ein Flüchtlingskind der Gegenwart? „Voller Humor und Leichtigkeit nähert sich Rieke Patwardhan den Themen Integration, Flucht und Traumatisierung“, heißt es im Urteil der Jury. „Forschungsgruppe Erbsensuppe ist zudem ein sprachlich überzeugender Roman, der trotz der ernsten Thematik ein vergnügliches, unterhaltsames und spannendes Leseerlebnis bietet.“