In der Corona-Krise entstehen auf Hessens Straßen und Plätzen Partymeilen. Die Städte versuchen, Herr der Lage zu werden. Doch die Probleme liegen in der Corona-Politik selbst.
FRANKFURT/KASSEL/GIESSEN/DARMSTADT. Hessens Städte rüsten sich für ein heißes Wochenende: Nach zahlreichen Partys auf offener Straße werden Ordnungsämter und Polizei am Wochenende erneut im Einsatz sein. Zu den Hotspots der Vergangenheit gehörten der Frankfurter Opernplatz und die Friedrich-Ebert-Straße in Kassel, wo Tausende bis in die Nächte feierten. Die Folgen: Müll, Lärm, Beschwerden, zu geringe Abstände trotz Corona-Regeln.
Städte reagieren mit Appellen, höherem Verwarngeld, dem Einsatz von Polizei und Ordnungsamt, Sperrungen. "Gemeinsam wird weiterhin der kommunikative Weg beschritten, begleitet mit Präsenz der Stadt wie auch der Landespolizei und - wenn nötig - situativem Einschreiten", sagte ein Sprecher der Stadt Kassel.
Feiern auf dem Frankfurter Opernplatz
In Frankfurt wurde neben dem Mainufer vor allem der Opernplatz zum Party-Hotspot. "Wenn die Partygänger, die notwendigen Verhaltensregeln einhalten und sich auch rücksichtsvoll gegenüber anderen verhalten, dann können wir zeigen, dass in Coronazeiten Partys im öffentlichen Raum möglich sind", sagte Sicherheitsdezernent Markus Frank (CDU). "Was aber gar nicht geht ist, dass zu Lasten der Anwohnerschaft und der Steuerzahlenden gefeiert wird."
Frank und Umweltdezernentin Rosemarie Heilig (Grüne) prangern vor allem "riesige Müllansammlungen, zersplitterte Glasflaschen, die schwer aufzusammeln sind, aber auch mit zunehmendem Alkoholpegel als Wurfgeschosse dienen" an. Hinzu kämen Wildpinkler, Lärmbelästigungen der Nachbarschaft und zugeparkte Bürgersteige.
Treffen vor der Uni-Gießen
In Gießen treffen sich die Menschen vor allem auf dem Vorplatz des Uni-Hauptgebäudes und an den Lahnwiesen. Die Polizei behält die Orte im Auge, der Ansatz bei Problemen ist nach Angaben eines Sprechers: "Wir wollen immer mit den Leuten, die sich dort treffen, ins Gespräch kommen und versuchen so etwas immer kommunikativ zu lösen." "Nächtliche Feiern in Parks nehmen zu", sagte auch Darmstadt und appelliert an Bürger, sich rücksichtsvoll zu verhalten.
Dass auf Straßen und Plätzen gefeiert wird, ist der Situation geschuldet. Seit Monaten sind Clubs, Discos und Konzerthallen wegen der Corona-Pandemie gesperrt. Die Bedingungen dort gelten als perfekt für eine Verbreitung des Virus.
Auswirkungen auf die Infektionszahlen
Ob das öffentliche Feiern auch Folgen für die Verbreitung von Corona hat, lässt sich nicht sicher beurteilen, sagte eine Sprecherin des Frankfurter Gesundheitsdezernats. Ein Anstieg der Infektionen werde in Frankfurt derzeit nicht gemeldet. Allerdings seien dem Gesundheitsamt nur die gemeldeten Fälle von Einwohnern der Mainmetropole bekannt. "Zudem werden nur die Fälle gemeldet, die auch untersucht wurden und positiv auf Covid-19 getestet wurden."
Trotz der Probleme ist ein Plan für die Wiederöffnung der Clubs unter Corona-Bedingungen nicht erkennbar. "Die Landesregierung beobachtet kontinuierlich die Situation, um über etwaige weitere Lockerungen zu entscheiden", erklärt das Wirtschaftsministerium knapp.
Ernsthafte Gespräche zwischen Branche und Politik gebe es nicht, sagt Matthias Morgenstern, Inhaber des Tanzhaus West in Frankfurt und Vorsitzender des Netzwerks "Clubs am Main". Die Partymeilen auf den Straßen wundern ihn nicht. "Das ist ein Folgeproblem der nach wie vor ohne Öffnungsperspektive geschlossenen Clubs." In Frankfurt verteilten sich normalerweise 50 000 Menschen auf die Clubs. "Die sind jetzt woanders, auf der Straße und suchen sich ihre eigenen Freiräume. Die Städte reagierten hilflos.
Hygieneregeln im Club
Ist es verhältnismäßig, in Hessen mit über sechs Millionen Einwohnern und laut Robert-Koch-Institut rund 900 akuten Covid-19-Fällen Menschen das Feiern in Clubs zu verbieten? Auf diese Frage lässt sich Morgenstern nicht ein. Er argumentiert: "Wir Clubbesitzer sind gut dafür geeignet, Regeln einzuhalten." In den Clubs könne mit Hygienekonzept und unter kontrollierten Bedingungen gefeiert werden. Beispielsweise sei Nachverfolgbarkeit der Besucher sicherstellbar. "Das ist an öffentlichen Plätzen nicht der Fall."
Statt einer "lächerlichen Symbolpolitik" lädt Morgenstern die Städte ein, gemeinsam mit Clubbesitzern über alternative Angebote nachzudenken, beispielsweise, "wie man öffentliche Plätze bespielt" unter Einhaltung der Corona-Regeln. Man könne aber auch "Dinge erproben, eine Reihe von Clubs öffnen und sehen, wie es läuft".
Das Jugendleben leben können
Dass sich junge Leute angesichts geschlossener Clubs und anderer eingeschränkter Angebote verstärkt an öffentlichen Plätzen treffen, ist aus Sicht des Erziehungswissenschaftlers und Jugendforschers Benno Hafeneger nicht verwunderlich. Jugendliche brauchten für ihre spezielle Lebensphase Gleichaltrige und Räume. "Durch die Stadt streifen, sich mit Freunden treffen, ein Bier trinken, lachen, über Lebensthemen reden, der Feieraspekt am Wochenende - das alles ist von heute auf morgen weggebrochen", sagt der emeritierte Professor. Das sei eine "Stilllegen der Entwicklung einer Jugendgeneration". Mit der Aufhebung der Corona-Beschränkungen in vielen Bereichen suchten Jugendliche nun ihre Wege, das wieder möglich zu machen.
Dem Forscher zufolge ist der Konflikt um die Partys in Pandemiezeiten lösbar: "Man kann die Jugend ja nicht einsperren. Die jungen Leute müssen ihr Jugendleben leben können. Dabei ist die Frage, wie man das so regulieren kann, dass man sie nicht diskriminiert und strenge Verbote aufstellt." Sinnvoll wäre es, wenn Kommunen plausibel mit Jugendlichen kommunizierten, nach dem Motto: "Ihr braucht eure Orte, wir wollen auch, dass es euch gut geht und ihr feiern könnt, aber lasst uns auch Vereinbarungen treffen, was die Lautstärke, den Müll oder den Zeitrahmen angeht. Ich glaube, das kann man mit der jungen Generation im Prinzip - es wird immer Ausreißer geben - ganz gut kommunizieren."
Von dpa