Mit Blick auf die Katastrophe in der Türkei und in Syrien werden andere Beschwernisse ganz klein: die der Autofahrer, der CDU oder der Bauern zum Beispiel.
Hessen. Guten Tag, an einem schlechten Tag. Allein 4300 Todesopfer melden die Behörden nach den gestrigen Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion, dazu Zigtausende Verletzte und immense Schäden. Da muss die Witzischkeit im heutigen Newsletter mal außen vor bleiben. Und die Katastrophe auch, denn nahezu alles, was ich jetzt aufschriebe, würde schon am Mittag überholt sein.
Dabei hat die Hilfsaktion durchaus Bezug zu Hessen, denn wie stets bei solchen Ereignissen, wird es unter anderem die Rettungshundestaffel des ASB Südhessen und werden es THW-Kräfte aus dem Raum Darmstadt sein, die anpacken, wo es nötig ist.
Dieser Text soll von nicht aus der Welt oder wenigstens aus dem Sinn zu schaffenden Ärgernissen handeln. Die meisten wurden von Erdstößen der Lächerlichkeit überführt.
TOP 3 DES TAGES
Einseitig
Das Umweltbundesamt (UBA) ist nie für eine Überraschung gut. Zu einer Behörde, die umstandslos zum Vorfeld der Grünen gezählt werden darf, gehört, dass sie regelmäßig Tempolimits vorschlägt. In der jüngsten dazu vom UBA veröffentlichten Studie wird zu einer Höchstgeschwindigkeit von 120 Stundenkilometer für deutsche Autobahnen geraten, um den Ausstoß von Treibhausgas zu mindern. Ferner „Tempo 80 auf Außerortsstraßen“, um den Effekt zu verstärken.
Dieser nimmt sich in der Studie imposant aus, im Vergleich zur Gesamtmenge der Emissionen schon nicht mehr, wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Thorsten Frei zielsicher in einer Talkshow platziert hat. Mal davon abgesehen, dass die Studie auf dem Verkehrsaufkommen vor Corona fußt, das zum Glück vielerorts nie zurückgekommen ist, macht die Nonchalance der Verfasser staunen.
Eine „Verlagerung ins untergeordnete Netz“ wird als Folge des Tempolimits benannt, aber nicht problematisiert. Das tun dann die Anwohner der oft innerorts geführten Bundesstraßen oder die Angehörigen von Unfallopfern auf den statistisch wesentlich gefährlicheren Straßen im „untergeordneten Netz“.
Bei ihm macht das UBA selbstredend nicht halt. „Wäre es dann nicht sinnvoll, 30 km/h generell als neue innerörtliche Regelgeschwindigkeit einzuführen?“, fragen die Studienautoren listig. Da antworte ich mal mit: Nein. Auf etlichen heiklen Strecken ist Tempo 30 im Ort völlig richtig; in meiner Heimatstadt wurde zur Verblüffung der Stadtverwaltung sogar eine sinnvolle Begrenzung von übergeordneten Behörden gekippt. Aber für die Richtgeschwindigkeit 30 gilt auch ausweislich etlicher Studien: mehr Gängelung als Effekt.
Abseitig
Schnell noch zu Hans-Georg Maaßen. Der ist zwar politisch zumindest links der AfD erledigt, aber zur Gängelung der CDU, die er partout nicht verlassen will, leistet er dem politischen Gegner noch gute Dienste. Welchen Dienst er im Einzelnen als Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz geleistet hat, mag man sich heute gar nicht mehr ausmalen. Ob er da auch schon von der Idee eines gegen Weiße gerichteten Rassismus, von einem bereits laufenden Austausch der Bevölkerung besessen war? Ob er sich da auch schon so intensiv mit zwielichtigen Typen aus dem rechten Spektrum ausgetauscht hat?
Das fragt sich auch der Kolumnist Jan Fleischhauer, der am Abgedrifteten das Motto „hart, aber fair“ erprobt. Alles Mögliche sei dieser Maaßen (geworden?), aber eben kein Nazi, wie die gängige Formel für alle rechts des Juste Milieu lautet. Politik aber halte „aus gutem Grund auch für Knallköppe einen Platz bereit“, und mit einigen seiner steilen Thesen könne der Vielgescholtene „unbehelligt bei der Linkspartei oder Teilen der SPD weitermachen“.
Aber die Wölfe
An Maaßen wird sich die politische Szene gewöhnen müssen, so wie ich mich an den Klage-Bauern gewöhnt habe. Also an den Landwirt, der je nach Laune und Witterung um Ernte und Ertrag barmt: zu kalt, zu warm, zu nass, zu trocken, zu mittel, was auch immer. Immer verbunden mit der Forderung, es müsse viel mehr bezahlt werden von Staat und Verbraucher.
Mit der Landwirtschaftlichen Woche im südhessischen Gernsheim gibt es sogar einen Austragungsort, an dem sich die Jammer-Olympioniken messen können. Da war ich auch schon und habe viel Interessantes und Differenziertes von Bauern gehört. Aber das Gejammer wird mehr gelesen, ich geb’s ja zu.
Regionalmeister aller Klassen ist der Vorsitzende des Regionalbauernverbands, Dr. Willi Billau, den ich als Journalist in bester Erinnerung habe. Immer, wenn mir gar nichts mehr eingefallen ist, habe ich zum Hörer gegriffen, Billau angerufen und gefragt: „Na, wie geht es denn so?“
Um so bestürzter war ich zu erfahren, dass Billau wegen Krankheit nicht zum Auftakt der Landwirtschaftlichen Woche kommen konnte. So übernahmen andere das Jammern, und es kam, wie es kommen musste. Hessens Bauernpräsident Karsten Schmal führte Klage über den Wolf, Landwirtschafts-Staatssekretär Oliver Conz servierte ihn kalt ab: Es gebe in ganz Hessen 25 Wölfe; 2022 seien dort nur 22 „Nutztier-Risse“ registriert worden.
ZU GUTER LETZT
Check
Hätte Schmal vorher bloß mal einen Faktenchecker beauftragt. Allerdings rät kein Geringerer als Michael Andrick davon ab. Der Berliner Philosoph und Historiker lässt in einem Artikel kein gutes Haar an denen, die nicht nur von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bestallt sind, Fakten von Fiktion zu trennen.
Dafür hat er Kritik einstecken müssen von denjenigen, die seine Ausführungen auf die Aussage verkürzten: Man kann es so oder anders sehen. Da ist was dran, zumal Andrick gegen „selbsternannte Wahrheitswächter“ wütet, die „den Diskurs auf den von organisierten Gruppen gewünschten Meinungs- und Faktenkorridor“ einzuengen versuchten. Aber von der ungeheuerlichen Erfindung der „Alternative Facts“ der Trump-Beraterin Kellyanne Conway bleibt er ein gutes Stück entfernt.
Indem er darauf abhebt, dass es neben verifizierbaren Fakten eben auch die beurteilende Einordnung gebe beim sogenannten Faktencheck. Mit dieser verblüffend eingängigen Erklärung mache ich für heute Schluss: „Ein neues Werkzeug, das Moos im Garten entfernt, als ,Moosentferner‘ zu beurteilen, ist offensichtlich und wird nicht kontrovers sein. Zu beurteilen, ob der Artilleriebeschuss einer Stadt schon einen Krieg bedeutet oder noch einen Terroranschlag darstellt, mag schon mit guten Gründen umstritten sein.“
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