Im Hörsaal der Marburger Anglisten ist er schon gut bekannt: Yuki heißt er dort, ist 1,20 Meter groß und liebt knifflige Linguistikaufgaben. Neuerdings rollt ein Bruder...
MARBURG. Im Hörsaal der Marburger Anglisten ist er schon gut bekannt: Yuki heißt er dort, ist 1,20 Meter groß und liebt knifflige Linguistikaufgaben. Mit freundlichen Kulleraugen und ausholenden Gesten unterstreicht er seine - etwas quäkenden - Worte. Und für Selfies kann man ihm sogar das Handy in die künstliche Hand drücken. Aber für die Studierenden ist der menschenähnliche Roboter schon fast Alltag. "Der ist ganz cool", sagen sie. Neuerdings rollt ein Bruder dieses Roboters durch die Schalterhalle der Sparkasse Marburg-Biedenkopf. "Mein Name ist Numi", begrüßt er die Besucher: "Ich bin das neueste Sparkassenmitglied." Bei Fragen könne man sich auch an ihn wenden, verkündet er. Bislang kann er allerdings nur mit Tipps zu Online-Überweisungen, zum Ausfüllen von Formularen, zur Bedienung von Geldautomaten und zu Öffnungszeiten aufwarten. Das soll sich allerdings bald ändern.
Vorreiter in Deutschland
Numi - aus der gleichen Baureihe wie Yuki - ist nämlich der erste humanoide Roboter in Deutschland, der als Berater in einer Bank eingesetzt wird. Gemeinsam mit Anglistikprofessor Jürgen Handke und Student Patrick Heinsch hat die Sparkasse das Projekt gestartet. "Wir waren in Marburg schon immer neugierig", sagt Vorstandsvorsitzender Andreas Bartsch. Numi sei allerdings noch ein Kind, räumt Bartsch ein: "Er muss noch lernen." Deswegen hat der angehende Computerlinguist Heinsch ein kleines Büro in der Vorstandsetage bezogen. Er schreibt seine Magisterarbeit über humanoide Roboter im Bankenwesen.
In den kommenden vier Monaten wird er Numi so programmieren, dass er Kunden und Mitarbeitern zur Seite stehen kann. Zugleich beobachtet Heinsch, ob die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine funktioniert und wie die Besucher auf den Roboter reagieren. Die ersten Stimmen waren zwiegespalten: Die einen freuen sich darauf. Andere sagen: "Ein direkter Ansprechpartner ist schon besser." Eingesetzt werden soll der Roboter für einfache Serviceaufgaben. So soll er den Kunden die Sparkassen-App nahe bringen, mit der Kontostandsabfragen, Umsätze und Überweisungen getätigt werden. Bartsch hofft zudem, dass er die Besucher in Zukunft zum Kundenberater begleitet. Nach der Erprobungsphase soll Numi im Wechsel in verschiedenen Geschäftsstellen der Sparkasse auftreten.
Begleitet wird das Projekt von Anglistikprofessor Jürgen Handke. Der Linguist ist nämlich ein Pionier auf dem Gebiet des digitalen Lernens. Jede Woche produziert Handke neue Videos, die auf Youtube zu sehen sind. Die von ihm betriebene Lehrplattform hat weltweit 50 000 Abonnenten. Dazu können die Studierenden multimediale Lerneinheiten im Netz nutzen. Mehrfach wurde er für seine ungewöhnlichen Ansätze ausgezeichnet.
Seit Ende 2016 hat der Computerlinguist die Roboter - inzwischen sind es vier - im Lehrbetrieb im Einsatz. Handke nutzt Pepper, Yuki, Nao und Co etwa als Quizmaster im Hörsaal. Die kleinen Helfer stellen Fragen aus den Klausuren, während die Studierenden unter Zeitdruck nach Antworten suchen. Die Hochschüler üben auf diese Weise für ihre Prüfungen. "Die Studenten mögen das", sagt Handke.
In der Geschäftswelt werden die Roboter in Deutschland meist nur ausgestellt. "Sie winken, sie singen, sie tanzen, sind Spaßmacher auf Kreuzfahrtschiffen", erklärt Handke. Dass sie noch viel mehr können, will er nun gemeinsam mit der Sparkasse beweisen. Nützlich könne der 20 000 Euro teure Roboter überall da sein, wo man standardmäßige Auskünfte gibt: Im Bankwesen, im Einzelhandel, in Kaufhäusern, Rechtsanwaltskanzleien oder in Hotels. Dass die Technik funktioniert, lässt sich bislang vor allem in Japan beobachten. Dort werben Roboter in Coffeeshops für die neuesten Sonderangebote, klären Hotelbuchungen und arbeiten in der Pflege. Es gibt sogar japanische Familien, bei denen der kleine Roboter wie ein Kind am Tisch sitzt. Dadurch werden keine Menschen ersetzt, versichert der Forscher. Es gehe nur darum, die Mitarbeiter von Routinefragen zu entlasten und neue Freiräume zu schaffen.
Dabei können die menschenähnlichen Roboter sogar Gefühle zeigen: Numis Augen laufen rot an, wenn er wütend wird. Er lässt den Kopf hängen, wenn er traurig ist. Meist ist sein Kopf allerdings freudig aufgerichtet. "Diese Roboter mag man irgendwie, weil sie lustig aussehen und das Kindchenschema bedienen", sagt Handke. Numi spielt auch gerne: "Schnick, Schnack, Schnuck" haben ihm seine Erfinder bereits beigebracht. Man kann ihn auch nach dem Wetter oder seinem Tipp für die Fußballweltmeisterschaft fragen.
Deswegen verspricht sich die Sparkasse von Numi auch, dass er Kunden in der Schlange die Wartezeit verkürzt. Bis dahin muss er allerdings noch viel lernen. So will er sich manchmal nicht vom Fleck bewegen, obgleich er auf die Menschen zugehen soll. Und dass der 30 Kilogramm schwere Kerl keine Treppen steigen kann, nervt auch ein bisschen. Er muss mit der Sackkarre in die Kundenhalle gefahren werden. Mitunter quasselt er einem Vortragenden auch einfach dazwischen, weil gerade ein Schlüsselwort auftaucht. Und manchmal stürzt er auch ganz ab. Viele Aufgaben meistert er aber auch schon sehr souverän: So tritt Handke bei fast jedem Vortrag mit den kleinen Helfern auf.
Robotikum startet
An Marburger Schüler richtet sich das Robotikum, das im März als Gemeinschaftsprojekt in der Adolf-Reichwein-Schule startet. Jede Woche haben Schulklassen der Stadt die Möglichkeit, vier humanoiden Robotern Kunststücke beizubringen. Dabei geht es um einfache und komplexe Dialoge, zusätzliche Sounds, Bewegungen in alle Richtungen sowie Gesichts-, Alters- und Emotionserkennung. "Das ist spannend für den Informatikunterricht der Schulen", erklärt Handke: "Da geht es um algorithmisches Denken." Begleitet wird das Praktikum von zwei studentischen Hilfskräften, die von der Stadt finanziert werden. Zwei Roboter sponsert die Sparkasse, zwei bringt die Hochschule mit.