Bei Demos gegen den Aufmarsch einer Nazi-Partei in Mainz kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Die setzt nun eine Ermittlungsgruppe ein, um verschiedene Straftaten aufzuklären.
MAINZ. Es ist kurz nach 13.30 Uhr, als die Situation am Rande des Demo-Samstags erstmals eskaliert: Auf der Kreuzung von Hattenbergstraße und Zwerchallee in Mombach kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Gegendemonstranten gegen eine Versammlung der rechtsextremen Neue Stärke Partei (NSP) und der Polizei. Zuvor hatten sich Kleingruppen von Gegendemonstranten auf den Weg vom Hauptbahnhof zu einem von den Rechten kurzfristig angemeldeten zusätzlichen Versammlungsort an der Waggonfabrik in Mombach gemacht. Im Laufschritt geht es für die Gegendemonstranten über Kaiser-Wilhelm-Ring, Bismarckplatz und Hattenbergstraße in Richtung Mombach. Kurz hinter der Kreuzung zur Zwerchallee ist Schluss.
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Die Polizei hat den Aufstellbereich der Rechtsextremen weiträumig abgesperrt. Wenige Meter vor der Sperre, auf der Kreuzung von Hattenbergstraße und Zwerchallee, wird es plötzlich hektisch. Unter der Zugbrücke wirft sich eine Handvoll schwarz gekleideter und vermummter Gegendemonstranten mitten auf die Fahrbahn der Zwerchallee, um einen aus Richtung Mombacher Straße herbeieilenden Mannschaftswagen-Konvoi der Polizei aufzuhalten. Die Fahrzeuge bremsen stark ab. Behelmte Beamte steigen aus, gehen auf die Vermummten zu. Der Gegendemonstranten-Pulk drängt ihnen entgegen.
Polizei setzt Pfefferspray und Schlagstöcke ein
Die Situation eskaliert. Es fliegen Fäuste und Gegenstände. Polizisten setzen Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Mehrere Minuten lang bleibt es diffus. Es herrscht Aufruhr. Immer mehr Demonstranten kommen hinzu. Auch weitere behelmte Beamte eilen herbei. Einzelne Demonstranten versuchen, auf Polizeifahrzeuge zu klettern, versuchen, deren Scheiben zu zertrümmern. Und der Zustrom reißt nicht ab, die Kreuzung wird voller. Während sich Demo-Teilnehmer und Sanitäter um erste Verletzte kümmern, ihnen Augen auswaschen und Platzwunden verbinden, bleibt die Atmosphäre angespannt. Über eine Stunde lang kommt es immer wieder zu Zusammenstößen mit der Polizei. Auch Böller und Pyrotechnik wird gezündet.
Dabei hatte der Demo-Samstag mit insgesamt 15 angemeldeten Versammlungen ruhig begonnen: Ab etwa 6.30 Uhr werden Bereiche um Hauptbahnhof und weitere Plätze in der Innenstadt abgesperrt. Der Bahnhofsvorplatz, auf dem sich die Rechten ursprünglich ab 12 Uhr versammeln wollten, um durch die Innenstadt zu ziehen, ist von Gitterreihen umgeben.
Bus aus Thüringen kontrolliert
Während die Vorbereitungen für das Programm auf der Hauptbühne des Gegenprotests in der Schottstraße - gegenüber des Bahnhofsvorplatzes - laufen, sickert gegen kurz vor 11 Uhr die Information durch, dass die Rechtsextremen, die teils mit dem Zug aus Rheinhessen sowie per Bus aus Thüringen anreisen, kurzfristig eine weitere Versammlung in Mombach angemeldet haben, um von dort zum Hauptbahnhof zu ziehen. Zuvor hatte die Polizei den Reisebus mit 37 Rechten aus Thüringen kontrolliert und nach Saulheim begleitet.
Unter den Gegendemonstranten verbreitet sich die Info zügig, wird zudem über soziale Netzwerke gestreut. Gegen 11.45 Uhr trifft eine mittlere dreistellige Anzahl an Gegendemonstranten in Mombach ein. Die Polizei verlagert ebenfalls zahlreiche Kräfte dorthin. Immer wieder verirren sich auch Passanten in die Absperrung, bleiben verwundert stehen oder steigen vom Rad, weil es nicht mehr weitergeht. „Was ist denn jetzt hier los?“, fragt eine ältere Dame. Polizisten bitten die Passanten, umzudrehen.
Applaus für die „Omas gegen Rechts“
Derweil wird es auch am Hauptbahnhof voller. Applaus brandet auf für die „Omas gegen Rechts“. Sie kommen sinnigerweise von links und drehen auf die Schottstraße ein. Dort schlägt auf der Hauptbühne an diesem Samstag das Herz aller Gegendemonstrationen. Über 60 Gruppen und Institutionen machen mit. Die Omas gegen Rechts gehören dazu. Bevor das Programm auf der Bühne losgeht, singen sie sich schon mal warm mit einem eigenen Text zu der bekannten Melodie des Volksliedes „Hejo, spann den Wagen an.“ Und das geht so: „Omas leisten Widerstand. Gegen Hass und Wut in diesem Land. Stoppt die Hassverbreiter, stoppt die Hassverbreiter.“
Sternförmig ziehen die Gegendemonstranten zum Hauptbahnhof. Die Antifa skandiert, auf der Hauptbühne wird musiziert wie an einem lauen, südamerikanischen Abend. „Kein Nazi-Aufmarsch in Mainz. Wir stellen uns quer“, dieses Motto war die verbindende Vorgabe für alle Aktionen, das gemeinsame Dach, das sich über den Protest aller Menschen spannte.
OB Ebling spricht
Gegen 12.45 Uhr betritt Oberbürgermeister Michael Ebling die Hauptbühne. „Ich bin stolz auf die Vielfalt in dieser Stadt“, sagt Ebling. Die Mainzer Geschichte sei schon immer eine Geschichte der Zu- und Einwanderung gewesen. „Diejenigen, die mit braunsten Gedanken hetzen und spalten, die wollen wir hier nicht haben“, ruft der OB unter starkem Beifall und Jubel. Er erinnert an all das Leid und die Barbarei, die einmal durch die Nazis von Deutschland ausgegangen seien. „Sie sollen ihren braunen Rucksack einpacken und die Heimreise antreten.“
Etwa zeitgleich dreht der ausharrende Gegendemonstranten-Pulk in Mombach wieder ab. „So. Auf geht’s“, sagt ein junger Mann und klatscht in die Hände. Die Menge setzt sich in Bewegung. Es geht zurück zum Hauptbahnhof. Ein Teil der Polizisten begleitet den Pulk, der Rest hält die Stellung.
Null Toleranz für Rechte bei den 05ern
Derweil läuft das Programm auf der Bühne am Hauptbahnhof weiter: Großer Applaus, als die DGB-Vorsitzende für Rheinland-Pfalz/Saarland, Susanne Wingertszahn, den Einsatz der Polizisten an diesem Tag lobt. 05-Aufsichtsratsmitglied Carsten Kühl hebt hervor, dass es für die Rechten Null Toleranz im Leitbild der 05er gebe, genauso wenig wie im Stadion und auch in der Stadt nicht. Roland Schäfer von Rheinhessen gegen rechts sagt, dieser Tag gelte der Vielfalt, den Menschenrechten, dem Respekt und der Solidarität. Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner fordert auf, alle demokratischen Kräfte müssten der Spaltung entgegenwirken. Alle sollten den Rechten den „Mainzer Stinkefinger“ zeigen.
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Es ist 13.15 Uhr, als sich vor der Waggonfabrik plötzlich etwas tut. Eine Polizeistaffel positioniert sich am Straßenrand, Polizeibusse blockieren die Straße. Und plötzlich hört man sie, die rund 60 Rechtsextremen, die soeben aus dem Zug gestiegen sind. Wie sich herausstellt, hatten sich Rechte aus Rheinhessen und Thüringen am Bahnhof in Saulheim getroffen, um gemeinsam nach Mombach zu fahren. Ihre Ankunft verbreitet sich zügig unter den Gegendemonstranten, die sich nun erneut auf den Weg zur Waggonfabrik machen. Kurz darauf kommt es zu besagten Auseinandersetzungen mit der Polizei auf der Kreuzung.
Abreise von Rechtsextremen verzögert sich
Wenige Hundert Meter entfernt stehen die Rechten. Um 14 Uhr werden sie von der Polizei informiert, dass ihr Weg Richtung Hauptbahnhof aufgrund „starker Gegenproteste“ bereits wenige Meter nach dem Aufzugstart beendet ist. Eine Ansage, die auf wenig Begeisterung trifft. „Heute ist nicht aller Tage, wir kommen wieder, keine Frage“, rufen diese, fügen sich aber. Ihre Abreise mit dem Zug verzögert sich. Gegendemonstranten blockieren die Gleise, der Zugverkehr wird eingestellt. Auf dem Bahnsteig geraten Rechte und Polizei aneinander. Zwei Personen werden in Gewahrsam genommen, entsprechende Anzeigen gefertigt.
Derweil kommt es nur wenige Hundert Meter entfernt, auf der Kreuzung von Hattenbergstraße und Zwerchallee, erneut zu Zusammenstößen zwischen Gegendemonstranten und Polizisten. Ein lauter Knall, aus dem Gegenprotest-Pulk kommend, hallt über die Kreuzung. Grüner Rauch steigt auf, es wird Pyrotechnik gezündet. Wieder fliegen Fäuste und Knüppel, zudem Steine und Flaschen. Die Polizei setzt Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Ab etwa 14.45 Uhr beruhigt sich die Situation. Die Gegendemonstranten ziehen zurück zum Hauptbahnhof. Die Gleisblockade dauert noch einige Zeit an. Die Rechten verlassen den Bahnhof in Mombach gegen 16.30 Uhr mit dem Zug Richtung Saulheim, steigen dort in den Reisebus um.
Am frühen Abend normalisiert sich die Situation in der Innenstadt. Doch der Demo-Samstag hallt nach: Die Polizei hat eine Ermittlungsgruppe eingesetzt, um die Geschehnisse im Detail aufzuarbeiten, dokumentierte Zwischenfälle auszuwerten und mögliche Straftatbestände wie Volksverhetzung, Beleidigungen und Sachbeschädigungen zu prüfen. Auch zwei Gegendemonstranten wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen. Insgesamt waren rund 800 Beamte der Landespolizeien aus Rheinland-Pfalz, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Bayern und dem Saarland sowie 311 Kräfte der Bundespolizei im Einsatz. Laut Behörden nahmen rund 3000 Menschen an Gegenversammlungen teil. Insgesamt seien 475 Demo-Teilnehmer mit dem Zug angereist. „Dabei kam es im Zug zu einer Körperverletzung“, so die Polizei.
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