Die Salzbachtalbrücke: Marode, angebohrt, abgesackt

Blick auf die Wiesbadener Salzbachtalbrücke und die angrenzenden Kläranlagenbecken. Autobahn GmbH / Maurice Kaluscha

Die marode Salzbachtalbrücke über dem Wiesbadener Mühltal soll am 6. November gesprengt werden. Das ist ihre Geschichte.

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WIESBADEN. 1963 – Die Salzbachtalbrücke wird als Teil der sogenannten Südumgehung Wiesbaden eingeweiht. Die Brücke über das Mühltal, durch das der Wiesbadener Salzbach fließt, ist Teil der Verlängerung des Rhein-Main-Schnellwegs, der heutigen A66, der Wiesbaden mit Frankfurt verbindet. Ausgelegt werden die beiden Teilbrücken Nord und Süd für eine Belastung von rund 20.000 Fahrzeugen pro Tag. Wie sich die Funktion der Brücke geändert hat, lesen Sie hier in unserem Blick auf die Anfangsjahre des Rhein-Main-Schnellwegs und seiner Entwicklung als A66.

1964 ist der Rhein-Main-Schnellweg gerade einmal ein Jahr eröffnet und die Salzbachtalbrücke (am oberen Bildrand) nagelneu. Foto: Stadtarchiv Wiesbaden
1964 ist der Rhein-Main-Schnellweg gerade einmal ein Jahr eröffnet und die Salzbachtalbrücke (am oberen Bildrand) nagelneu. Foto: Stadtarchiv Wiesbaden (© Stadtarchiv Wiesbaden)

Von 1985 an muss die Brücke mehrfach verstärkt werden. Grund ist der starke Verkehr, der die ursprünglich geplante Belastung deutlich übersteigt.

2007 und 2010 werden sogenannte Spannglieder an den Brücken angebracht. Die Stahl- und Betonverstärkungen sollen die Widerstandsfähigkeit des Bauwerks erhöhen.

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Rund zehn Jahre nach der Ertüchtigung fällt 2017eine weitreichende Entscheidung.

Die Brücke gilt inzwischen als eine der schlechtesten in Hessen. Das Abriss- und Neubaukonzept von 2017 sieht bereits vor, zunächst die Südbrücke abzureißen und neu zu errichten. Die Nordbrücke soll während dieser Phase den gesamten A66-Verkehr aufnehmen. Anschließend soll der Verkehr auf die neue Südbrücke umgelegt und die Nordbrücke neu gebaut werden. Hessen Mobil rechnet zu diesem Zeitpunkt mit Bauarbeiten bis ins Jahr 2022. Die Baukosten werden mit 35 Millionen Euro veranschlagt.

Im Laufe des Jahres 2017 finden erste Arbeiten zur Ertüchtigung der Nordbrücke statt. So soll sie für die letzten Betriebsjahre fit gemacht werden, in denen sie den ganzen A66-Verkehr tragen muss. Zeitweise wird der Verkehr dafür auf drei Fahrspuren gelegt und über die Südbrücke geführt.

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Die ursprünglich für Mai 2018 vorgesehene Verlegung des Verkehrs auf drei Spuren auf der Nordbrücke verzögert sich. Als Grund gibt Hessen Mobil die komplizierte Abstimmung mit der Bahn an, die für Arbeiten unter der Brücke Sperrzeiten für den Zugverkehr einrichten muss.

Im August 2018 wird wegen „unvorhergesehener Probleme“ bei der Installation der Stahlverstärkungen an der Nordbrücke eine kurzzeitige Verengung der Mainzer Straße auf nur eine Spur kurzfristig verschoben. Hessen Mobil geht zu diesem Zeitpunkt aber noch immer von einem Abrissbeginn der Südbrücke Ende 2018 aus. Fertiggestellt werden soll das Gesamtprojekt 2023 oder 2024.

Im November 2018 wird zunächst die Überholspur auf der A66 in Richtung Frankfurt gesperrt. Im Januar sollen bei laufendem Verkehr die verbleibende Fahrspur der Südbrücke auf die nördliche Teilbrücke verlegt und die Abrissarbeiten begonnen werden. Als Fertigstellungstermin für das Gesamtprojekt wird nun Mitte 2024 angegeben.

Zur Vorbereitung des Abrisses der Südbrücke (unten) wird der A66-Verkehr auf die Nordbrücke verlegt. Foto: Rene Vigneron
Zur Vorbereitung des Abrisses der Südbrücke (unten) wird der A66-Verkehr auf die Nordbrücke verlegt. Foto: Rene Vigneron (© Rene Vigneron)

Ende Januar 2019 - der erste Brücken-GAU an der Salzbachtalbrücke: Nachforschungen von Hessen Mobil ergeben, dass bei den Verstärkungsarbeiten für die Nordbrücke schwerwiegende Fehler passiert sind. Die zuständige Fachfirma hat, offenbar schon Monate zuvor, etliche Spannglieder angebohrt und so die Brücke geschwächt. Als Sicherheitsmaßnahme wird der Verkehr erneut auf nur eine Fahrspur pro Richtung beschränkt. Eine akute Gefahr habe aber nicht bestanden, heißt es von Hessen Mobil, wo man von einer mehrere Monate dauernden Prüfung ausgeht. Im gesamten westlichen Rhein-Main-Gebiet werden Umleitungen eingerichtet und Autobahnausfahrten umgestaltet, um den Verkehr um die Engstelle herumzuleiten.

Alexander Pilz (heute Autobahn GmbH) zeigt eines der Spannglieder, die an der Nordbrücke beschädigt wurden.    Archivfoto: Sascha Kopp
Alexander Pilz (heute Autobahn GmbH) zeigt eines der Spannglieder, die an der Nordbrücke beschädigt wurden. Archivfoto: Sascha Kopp (© Sascha Kopp)

Im März 2019 ist die Salzbachtalbrücke Thema im Verkehrsausschuss des Hessischen Landtags. Verkehrsminister Tarek Al Wazir (Grüne) erklärt vor den Parlamentariern, das Land werde Schadenersatzansprüche gegen die Baufirma geltend machen. Regress für den volkswirtschaftlichen Schaden werde es aber nicht geben können.

Bis in den September 2019 hinein wird die beschädigte Nordbrücke mit 110 Stahlbändern verstärkt. Im November wird die dreispurige Wechselverkehrsführung auf der Nordbrücke eingeführt. Je nach Verkehrsaufkommen führen zwei Spuren in die stärker frequentierte, eine in die andere Fahrtrichtung. Hessen Mobil will 2020 mit den Abrissarbeiten an der Südbrücke beginnen.

Im Februar 2020 spricht man bei Hessen Mobil von einer Projektdauer bis 2025 und 80 Millionen Euro Gesamtkosten. Während der Monate, in denen die Nordbrücke geprüft und verstärkt wurde, sind auch die Gründungsarbeiten für die neue Brücke weitergegangen. Der Abriss der Südbrücke soll mit einer Vorschubbrüstung von Westen nach Osten erfolgen. Eine Wanne soll das Abbruchmaterial auffangen, das über die Ostseite abtransportiert werden soll.

Im September 2020 gibt Hessen Mobil weitere Verzögerungen beim Großprojekt bekannt. Nun sind es unterschiedliche Vorstellungen über das richtige Vorgehen beim Abriss, die Zeit in Anspruch nehmen. Die mit dem Abbruch der Südbrücke beauftragte Spezialfirma akzeptiert das von Hessen Mobil ausgearbeitete Abrisskonzept nicht und schlägt eine vollständige Einrüstung der Brücke vor. Der Grund: Weil die Südbrücke länger als ursprünglich geplant unter Verkehr stand, ist sie aus Sicht der Abbruchfirma nun geschwächt und nicht mehr sicher mit dem vereinbarten Verfahren zurückzubauen.

Zum Jahreswechsel geht die Zuständigkeit für die Salzbachtalbrücke von Hessen Mobil in die Hände der neuen Autobahn GmbH des Bundes über.

Im April 2021 einigen sich die Autobahn GmbH und das Abbruchunternehmen auf ein Verfahren: Es bleibt größtenteils beim ursprünglich vereinbarten Abbruch. Zur Überwachung der Nordbrücke wird ein zusätzliches Monitoringsystem installiert, das die bisherigen Überwachungsmaßnahmen ergänzt. Die Planer gehen zu diesem Zeitpunkt von einer Fertigstellung beider Brücken Ende 2026 aus. Die Südbrücke soll 2024 fertig sein. Ein knapper Zeitplan, denn Statiker geben der noch in Betrieb befindlichen Nordbrücke noch eine Restlebensdauer bis 2025.

Am Nachmittag des 18. Juni 2021 fallen Betonstücke von der Südbrücke auf die darunterliegende B263. Die von aufmerksamen Verkehrsteilnehmern alarmierten Ordnungsbehörden sperren sowohl die Bundesstraße als auch die A66 voll. Auch der Bahnverkehr unter der Brücke wird eingestellt. Eine erste Prüfung durch Brückengutachter ergibt, dass sich ein Lager der Südbrücke gelöst hat und der Überbau dadurch um rund 30 Zentimeter auf den Pfeiler abgesackt ist. Bis auf Weiteres bleiben die Autobahn, die B263 wie auch die Bahntrasse zum Hauptbahnhof Wiesbaden gesperrt.

Am 25. Juni gibt es dann Klarheit: In einer Pressekonferenz vor der gesperrten Brücke geben Vertreter von Autobahn GmbH, Stadt und anderen Behörden bekannt, dass die beiden Teilbrücken gesprengt werden sollen. Von der Sprengung verspricht man sich die schnellstmögliche Wiederöffnung der Bahn- und Straßenverbindungen unter der Brücke. Außerdem könne nach erfolgten Aufräumarbeiten der Neubau der Autobahnbrücke schneller als zuletzt geplant weitergehen. Auf der Pressekonferenz heißt es, der Sprengtermin könne etwa zwei Monate nach Abschluss von Sicherungsmaßnahmen angesetzt werden. Diese sind nötig, weil sich nach der Havarie niemand näher als 25 Meter an die Brücke heranbegeben darf.

Die Sicherungsarbeiten an der Brücke gestalten sich höchst kompliziert. So kompliziert, dass der Sprengtermin zunächst auf Oktober, später sogar auf Anfang November geschoben werden muss - ein Megaprojekt, das jede Menge Fragen aufwirft. Wegen des Sicherheitsbereichs müssen Arbeiten wie das Installieren von Stahl-Hilfsstützen oder die Verstärkung des defekten Pfeilers durch ein Spritzbeton-Korsett ferngesteuert durchgeführt werden. Teilweise werden hierzu völlig neue Verfahren entwickelt. Zur Verzögerung tragen auch die aufwändigen Vorbereitungsarbeiten für die Sprengung bei. Unter anderem werden Gleise abmontiert und der Bereich unter der Brücke mit 50.000 Tonnen Sand als Aufpralldecke für die Brückenteile aufgeschüttet. Auch die Kampfmittelsondierung gestaltet sich langwierig.

Am 6. Oktober gibt die Autobahn GmbH schließlich den konkreten Sprengtermin bekannt: Am 6. November sollen die beiden Teilbrücken mit Hilfe von mehreren hundert Kilo Sprengstoff zu Boden gehen. Den Auftrag für die Aktion hat Eduard Reisch, der als Sprengmeister unter anderem auch für die Sprengung des Frankfurter Uni-Turms verantwortlich war.

Der Termin steht unter dem Vorbehalt der Witterungsverhältnisse. Unter anderem könnten Starkregenereignisse noch für eine Verschiebung sorgen, da diese den Salzbach zu sehr anschwellen lassen könnten. Eine Aufstauung und mögliche Überflutung des Mühltals müssen vermieden werden.

Bei Anwohnern, die im Umfeld der Brücke wohnen, sorgt die Informationspolitik der Autobahn GmbH für Ärger.

Dazu kommt, dass die bundeseigene Gesellschaft offenbar auch ein Gutachten zurückhält, in dem die Schuldfrage untersucht wurde.

Von André Domes