Sehnsucht nach Öffnung – Wann lässt die Corona-Lage es zu?

aus Coronavirus-Pandemie

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Wegen der Corona-Pandemie bleiben viele Geschäfte und Gaststätten bis zum 7.März geschlossen. Foto: dpa

Der Frust über den Lockdown wächst, Rufe nach Öffnung werden lauter. Doch es gibt auch Warnungen vor möglichen drastischen Folgen. Ist eine Rückkehr zu mehr Normalität absehbar?

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BERLIN. Fastnacht gestrichen, schärfere Grenzkontrollen und der Osterurlaub auf der Kippe: Der Frust über die staatlichen Einschränkungen in der Corona-Krise wächst. Noch ist ungewiss, wie es ab dem 7. März weitergeht, wenn zumindest die Geschäfte allmählich wieder öffnen sollen. Forderungen nach konkreteren Perspektiven werden lauter. Selbst der CDU-Chef wendet sich gegen eine Bevormundung im Kampf gegen Corona: "Populär ist, glaube ich, immer noch die Haltung: Alles verbieten, streng sein, die Bürger behandeln wie unmündige Kinder", so Armin Laschet vor dem Unternehmerflügel der CDU. Soll bald also mehr geöffnet werden - oder sind Hoffnungen auf ein Abflauen der Pandemie verfrüht? Ist eine Normalität wie vor Corona absehbar?

In der Wirtschaft knirscht es. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger und DGB-Chef Reiner Hoffmann verlangen von Bund und Ländern "kurzfristig eine transparente und regelbasierte Öffnungsstrategie". Auch der Hotel- und Gaststättenverband pocht auf "konkrete Öffnungsperspektiven". Und sogar Bayerns Trainer Hansi Flick verlangt von der Politik mehr Engagement, "dass es irgendwann zu einer Normalität kommt". Flick hatte sich über Kritik an den Auslandsreisen von Proficlubs trotz Pandemie geärgert, speziell vom SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach.

Offene Situation als Dauerbrenner

Kein Jahr ist es her, dass viele mit bangem Gefühl die Ansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Fernsehen hörten. Seit Kriegsende sei Solidarität nicht mehr so gefragt gewesen, sagte Merkel im vergangenen März. "Diese Situation ist ernst, und sie ist offen." Längst scheint es vielen mit dieser Art von Offenheit zu reichen, weil gefühlt noch immer kein Ende in Sicht kommt.

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Merkel mahnt seither immer wieder zur Geduld. "Der vor uns liegende Winter wird uns allen noch viel abverlangen", sagte sie schon im November - wohl wissend, dass das Durchhaltevermögen vieler Bürger in der dunklen und kalten Jahreszeit erst recht ans Limit kommt. Wegen der anrollenden Impfkampagne aber machte sie auch Hoffnung. "Dann können wir Schritt für Schritt das Virus besiegen", meinte Merkel im Dezember. War es eine trügerische Hoffnung?

Mittlerweile sind rund drei Prozent der Menschen in Deutschland geimpft. Und wohl noch in dieser Woche sollen alle Pflegeheimbewohner durch den Piks geschützt sein. Sämtliche über-80-Jährigen sollen bis etwa Ende März drankommen. Der Berliner Virologe Christian Drosten wies im NDR-Podcast aber darauf hin, dass diese aber nicht die großen Virus-Verbreiter seien. "Es könnte deswegen dementsprechend so sein, dass wir von der Impfung bis Ostern noch keinerlei Effekt sehen", so Drosten mit Blick auf die Virusverbreitung. Die Über-60-Jährigen können nach Berechnungen im Auftrag der Regierung wohl erst bis Mitte/Ende Juni in weiteren Schritten geimpft werden - erst danach die Jüngeren ohne Vorerkrankungen und besonders zentralen Berufen.

Wie stark breiten sich Mutanten aus?

Was man noch nicht weiß: Wie stark sich die ansteckenderen Virusmutationen ausbreiten. Neue Zahlen des Robert Koch-Instituts sollen diese Woche kommen. Die Virologin Melanie Brinkmann stellte im "Spiegel" bereits fest: "Wir kriegen niemals genügend Menschen geimpft, bevor die Mutanten durchschlagen." Bei verstärkten Lockerungen fürchtet sie für die Zeit nach Ostern eine massive Infektionswelle bei den Jüngeren.

"Es hängt jetzt von uns und klugen Öffnungsschritten ab, ob wir ohne eine groß ausgeprägte dritte Welle durch die Pandemie kommen - oder ob wir zu unvorsichtig sind und dann doch vielleicht wieder steigende Fallzahlen haben", mahnte Merkel Ende der Woche. Drostens Frankfurter Kollegin Sandra Ciesek meint im NDR Podcast: "Wenn man jetzt lockern und dem Virus den freien Lauf lassen würde, würde es sicherlich zu einer dritten Welle kommen."

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Ministerpräsidenten kündigen Öffnungen an

Zweifel zeigt Ciesek am Nutzen von Lockerungsstufen, die nur anhand der Häufigkeit neuer Infektionsfälle bestimmt werden. Der Braunschweiger Immunologe Michael Meyer-Hermann meint sogar, der angepeilte Inzidenzwert von höchstens 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen werde mit den derzeitigen Einschränkungen womöglich gar nicht erreicht. Ministerpräsidenten wie Michael Müller (SPD) aus Berlin oder Reiner Haseloff (CDU) aus Sachsen-Anhalt stimmen die Menschen hingegen schon auf Öffnungspläne beim nächsten Bund-Länder-Treffen am 3. März ein.

Die Lage in Hessen und Rheinland-Pfalz - unser Corona-Newsblog

So geht Deutschland Ostern und einer möglichen dritten Welle entgegen - und dann? Vieles ist offen. Vergangenes Jahr erlebte Deutschland nach dem Frühjahrs-Lockdown recht unbeschwerte Sommermonate. Virologen fürchten aber in diesem Jahr auch Fluchtmutationen - Virus-Varianten, die der Immunabwehr entgehen.

Bis Ende des Sommers, also 21. September, sollen alle in Deutschland laut Merkel "ein Impfangebot" bekommen. Der Massenschutz könnte im Herbst volle Wirkung entfalten. Doch dass der Einsatz von Masken womöglich das ganze Jahr ratsam ist, brachte Drosten schon im September ins Gespräch.

Pandemie wohl auch im kommenden Jahr

Die Pandemie dürfte erstmal weitergehen - nach Expertenschätzungen auch noch im kommenden Jahr. In den vielen Ländern, die sich kein entsprechendes Impftempo leisten können, könnten sich immer weitere Varianten bilden. Auch in Deutschland könnten weiter Mutanten im Umlauf sein, die Anpassungen von Impfstoffen und Schutzmaßnahmen nötig machen.

Die Mikrobiologin Sharon Peacock, die in Großbritannien für die Suche nach den Virusvarianten zuständig ist, meinte in einem BBC-Podcst, die britische Mutation ziehe wohl durch die ganze Welt und mutiere dabei womöglich weiter. Wenn das Virus seine Aggressivität verliert, müsse man sich zwar keine großen Sorgen mehr machen. Doch selbst in zehn Jahren werde man immer noch nach neuen Varianten suchen müssen.

Längst wird debattiert, ob die Menschen insgesamt so weitermachen können und sollen wie vor Corona. Zum Beispiel was das Reisen oder das Einengen der Lebensräume virustragender Wildtiere anbetrifft. "Die Menschen reden über eine Rückkehr zur Normalität, aber ich bezweifle, dass das möglich sein wird", sagte der emeritierte Yale-Professor Frank Snowden in der "Zeit". Merkel meinte schon im August: "Nicht alles wird wieder so sein wie vor der Corona-Pandemie."

Von dpa