Warum eine Wiesbadener Gynäkologin Abtreibungen durchführt

Der Paragraf 218 steht weiterhin im Strafgesetzbuch.   Foto: dpa

Sie muss mit Protesten und Drohschreiben rechnen. Trotzdem führt diese Wiesbadener Frauenärztin auch weiterhin Schwangerschaftsabbrüche durch.

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WIESBADEN. „Es ist wirklich kein Spaß, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Ich mache es aus dem Grund, weil es ja sonst keiner mehr macht, und irgendwo müssen die Frauen ja hin. Nicht aus lukrativen oder sonstigen Gründen“, stellt die Wiesbadener Gynäkologin Dr. Martina Wagner klar.

Sie ist die einzige Anlaufstelle, die Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen, auf der offiziellen Internetseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Wiesbaden finden. Dabei arbeitet Wagner mit ihrem Kollegen Dr. Afghanyar zusammen, der das ambulante OP-Zentrum in der Landeshauptstadt leitet. Doch obwohl bei der BZgA lediglich diese eine Anlaufstelle genannt ist, bedeutet das nicht, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht auch in anderen Wiesbadener Praxen oder Kliniken durchgeführt werden.

Versorgungslage in Hessen teilweise angespannt

Laut Statistischem Bundesamt werden rund 81 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland und 87 Prozent der Abbrüche in Hessen von gynäkologischen Praxen durchgeführt. Krankenhäuser decken lediglich die verbleibenden 19 beziehungsweise 13 Prozent ab. Ein ähnliches Bild zeichnet die Auswertung des Recherchenetzwerks Correctiv, laut der nur etwa die Hälfte aller öffentlichen Kliniken mit gynäkologischer Station angibt, überhaupt Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Die Brisanz: Während die Abtreibungszahlen in Hessen mit knapp 7700 Abbrüchen im Jahr 2021 nur leicht rückläufig sind, nimmt die Anzahl der Frauenarztpraxen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, dramatisch ab. So steht es in einem im hessischen Ärzteblatt veröffentlichen Artikel. Die Autorinnen Dr. Ines Thonke und Christiane von Rauch stellen darin einen Rückgang der Praxen um rund 40 Prozent in den Jahren 2010 bis 2020 fest. Die Versorgungslage steht daher aus ihrer Sicht zunehmend unter Druck.

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Einen Grund für die sinkende Anzahl an gynäkologischen Praxen, die Abbrüche durchführen, sehen Thonke und Rauch in der medizinischen Ausbildung. Schwangerschaftsabbrüche würden hier vernachlässigt. Die sinkende Anzahl ambulanter OP-Zentren sei ein weiteres Problem, ergänzt Wagner und bestätigt Defizite in der gynäkologischen Ausbildung: „Der neue Facharztkatalog ist erweitert worden, aber die Kliniken machen immer noch relativ wenig Abbrüche. Ich wundere mich oft, wenn junge Kollegen Abbrüche anbieten, wo sie ihre Ausbildung in dem Bereich herbekommen.“

Sie selbst habe im Frankfurter Bürgerhospital viele Abbrüche miterlebt, diese liefen jedoch häufig anders ab als bei Gynäkologen, da die Frauen meist schon über die zwölfte Schwangerschaftswoche hinaus seien und dann eine vorzeitige Geburt eingeleitet werden müsse. „Die meisten Krankenhäuser nehmen Schwangerschaftsabbrüche nur nach medizinischer Indikation vor“, erklärt Wagner. Der Schwangerschaftsabbruch mit Beratungsschein, der immerhin 96 Prozent aller Abtreibungen in Deutschland ausmacht, werde in Kliniken kaum vorgenommen. Warum das so ist, könne sie sich nicht erklären. „Vielleicht rentiert es sich für Kliniken nicht“, mutmaßt die Ärztin.

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Krankenkassen bearbeiten Anträge häufig innerhalb weniger Stunden

Denn für einen Schwangerschaftsabbruch könne man 135,60 Euro abrechnen. Hinzu kämen häufig noch rund 200 Euro für die Narkose. „In den meisten Fällen müssen die Frauen das nicht selbst zahlen, sondern erhalten einen Berechtigungsschein von der Krankenkasse“, schildert Wagner ihre Erfahrung. Zudem merkt sie an, dass die Krankenkassen diese Anträge häufig innerhalb weniger Stunden bearbeiteten.

Die Zeit sei daher meist kein Problem. Jedoch bräuchten die Frauen häufig sehr viel Bedenkzeit, um sich für oder gegen einen Abbruch zu entscheiden. „Viele sind sich sehr unsicher, und man führt lange Gespräche. Und ich freue mich auch immer, wenn Frauen dann nicht zum OP-Termin kommen“, schildert Wagner ihre Erfahrungen der vergangenen Jahre. Sie habe teilweise Patientinnen, deren Schwangerschaftsabbrüche schon zehn oder mehr Jahre zurückliegen, und trotzdem hätten die Frauen noch mit dem Thema zu kämpfen. Deshalb störe sie sich auch an der politischen Debatte rund um den Paragrafen 219a in den vergangenen Jahren. „Ich argere mich, wenn gerade männliche Politiker der CDU suggerieren, dass Frauen sich diese Entscheidung leicht machen. Das tun sie nicht.“

Die nun vom Bundestag beschlossene Abschaffung des Paragrafen 219a ändert für die Ärztin nichts. „Ich habe nicht vor, auf meiner Homepage zu informieren. Bisher wurde ich über Pro Familia und die BZgA immer gut gefunden.“ Aber ist sie wirklich die einzige Anlaufstelle in Wiesbaden für Frauen, die abtreiben wollen?

„Mir fallen noch fünf weitere Anlaufstellen ein“, sagt Wagner. Damit sei die Versorgungslage in Wiesbaden im Vergleich zum Umland „nicht ganz so schlecht“. Viele seien jedoch nicht auf der Website der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gelistet, da sie die teilweise massiven Reaktionen von Protestierenden scheuten. „Auch wir hatten eine ganze Zeit lang vor der Praxis eine Menschengruppe, die ganz demonstrativ gebetet und Schilder hochgehalten hat“, erklärt Wagner. Sie sei froh, dass sie noch keine persönlichen Drohschreiben erhalten habe. Dennoch habe sie aus den genannten Gründen ebenfalls überlegt, sich überhaupt offiziell listen zu lassen. Schließlich gebe es auch die Möglichkeit, in den Beratungsstellen Listen zu erhalten, wo Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden.