Astrid Ruppert las in der Kirche. Foto: Eichenauer
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STOCKHAUSEN - „Abwarten und Tee trinken“, das tat Astrid Ruppert im Sommer 2015 nun nicht, als in ihrem Nachbarort Geflüchtete einzogen. Die Schriftstellerin, die mit ihrem Mann in der Nähe von Homberg (Ohm) wohnt und arbeitet, beschloss, sich zur ehrenamtlichen Flüchtingsbegleiterin ausbilden zu lassen. Ihre Erfahrungen im Miteinander mit Geflüchteten erschienen ein Jahr lang als Kolumnen in der Alsfelder Allgemeinen Zeitung. Im Rahmen der interkulturellen Woche las Ruppert auf Einladung des evangelischen Dekanats in der Stockhäuser Kirche aus ihrem Buch „Tee mit Ayman“, in dem alle Texte nun gesammelt erschienen sind.
Bevor es losging, schafften Traudi Schlitt und Franziska Wallenta von den evangelischen Dekanaten Alsfeld und Vogelsberg mit Tee und Gebäck aus Syrien die passende Atmosphäre. Gut versorgt hieß es dann für das Publikum: zuhören und Tee trinken.
Dass erste Begegnungen für beide Seiten aufregend sind, erzählte die Autorin, deren Debütroman „Obendrüber, da schneit es“ vom ZDF verfilmt wurde und zu einer der erfolgreichsten TV-Produktionen des Jahres 2012 avancierte, gleich zu Beginn mit entwaffnender Offenheit. Da wird zuhause überlegt, wie sich frau am besten für das erste Zusammentreffen mit Männern aus einer eher konservativen Kultur anzieht und dabei sie selbst bleibt. Und überhaupt, was bringt man mit? Bekanntes oder lieber etwas typisch Deutsches? Außerdem ist die Verständigung unter Menschen, die keine gemeinsame Sprache haben, vermutlich schwierig. Am Ende verläuft „das erste Mal“ natürlich ganz anders als gedacht und beschert der Autorin neue Erkenntnisse: dass die Sprache des Lächelns universell ist, zum Beispiel.
Schummerlicht statt Neon
Warum in deutschen Wohnzimmern keine Neonröhren hängen und stattdessen meistens sanftes Dämmerlicht den Raum mehr oder weniger „erhellt“, erklärte Ruppert zur Belustigung aller Zuhörer im Kapitel „Gemütlichkeit“. Dass Schummerlicht gemütlich sein soll, sei für den Syrer Ayman etwas unverständlich gewesen, schließlich schlafe man bei diesen Lichtverhältnissen ja fast ein. Nickende Zustimmung bei den Geflüchteten im Publikum. Diese Feststellung hat anscheinend nicht nur Ayman gemacht, dessen Name wie der der anderen Protagonisten übrigens fiktiv ist, seine Geschichten aber nicht. Ayman sei übrigens sehr glücklich mit den vier großen Neonröhren, mit denen er sein kleines Wohnzimmer in einem Fachwerkhaus ausgestattet habe, berichtete Ruppert, die 20 Jahre lang in Wiesbaden gelebt hat. Unterbrochen wurde ihre Stimme nur von Martin Harnack, der die Lesung auf der Gitarre musikalisch begleitete. Zwischenmenschliche Beziehungen sind ein Hauptthema im Werk der 53-Jährigen. Dass vor allem Liebe interkulturelles Konfliktpotenzial birgt und Liebeskummer trotzdem international ist, erfuhr Ayman, als er sich in Deutschland zum ersten Mal verliebte – und seiner Angebeteten beim zweiten Treffen seine Liebe gestand. Denn Zuneigung hat an jedem Ort der Welt einen eigenen kulturellen Code. Während Liebe in Syrien vor allem durch romantische Gesten und Gespräche gezeigt werde, die bei Erlaubnis der Familien in der Regel zu einer Heirat führten, betrieben die Deutschen vor allem „Flirten mit Rückgabegarantie“.
Das musste auch Ayman feststellen, dessen Herzensdame nach seinem Liebesgeständnis erst mal „Abstand brauchte“. Von direkten Liebesbezeugungen, versuchte die Flüchtlingsbegleiterin ihrem Schützling verständlich zu machen, fühlten sich deutsche Frauen meistens überrumpelt. Man spreche zuallererst über „Gefühle“. Gefühle? „Nein. Ich bin schüchtern.“ Lieber „ich bleibe weit“. Deutsche zu verstehen, sei sehr schwer, fand Ayman dann auch. „Ich kann nicht sagen, ich liebe dich, aber viel sagen über Gefühle, immer reden... Deutsche sehr kompliziert.“ Lautes Gelächter erntete die Episode vor allem auch von den Geflüchteten...
Neben heiteren Motiven nahm die studierte Literaturwissenschaftlerin auch die ernsten, bedrückenden Themen nicht aus. In der Kolumne „Normal“ behandelte Ruppert Entsetzen, das für Bewohner von Kriegsgebieten alltäglich ist: von Heckenschützen erschossene Freunde, Brüder, die nicht mehr von der Arbeit nach Hause kommen und zurückgelassene Frauen und Kinder, die seit Wochen hungern.
„Tee mit Ayman“ versammelt Geschichten über berührende Begegnungen und Begebenheiten. Die erheiternden und nachdenklichen Momente verfehlten bei Astrid Rupperts Lesung ihre Wirkung auf das Publikum nicht: Abwechselndes Kichern und betroffene Stille erfüllten die evangelische Kirche. Einzig die Größe des Publikums wurde der Veranstaltung nicht gerecht: Die meisten Bänke im Kirchenschiff waren leer geblieben. Das tat der Begeisterung der Anwesenden allerdings keinen Abbruch. Assad , der aus dem Irak nach Deutschland geflohen ist, fasste Astrid Rupperts Lesung so zusammen: „Das war gut, sehr gut. Super!“