Spätestens nächste Woche müssen die Menschen in Alsfeld untergebracht sein, ansonsten stehen sie auf der Straße, sagt Landrat Göring. Langfristig eine nicht stemmbare Aufgabe.
VOGELSBERGKREIS. Das als Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete genutzte Kreisjugendheim in Landhausen ist nun voll. "Spätestens nächste Woche müssen wir daher die Menschen in Alsfeld im Containerdorf unterbringen, ansonsten stehen sie auf der Straße", sagte Landrat Manfred Görig (SPD) am Dienstag im Gespräch mit unserer Zeitung. Während die Aufbauarbeiten in Alsfeld auf Hochtouren liefen, hatte Görig Zahlen, Daten und Fakten über den Istzustand zusammengestellt und welche Aufgaben der Kreis in Zukunft voraussichtlich leisten muss.
In den kommenden zwölf Monaten werde die Unterbringung der Flüchtlinge allein im Vogelsbergkreis 9 Millionen Euro kosten. Davon müsse bislang der Kreis 3 Millionen Euro selbst tragen (unsere Zeitung berichtete). "Zum jetzigen Zeitpunkt können wir noch nicht einmal sagen, welche Kosten für Wasser und Strom noch oben drauf kommen", so Görig. Dazu gebe es lediglich vage Hochrechnungen. Die genannten Zahlen seien die Jahreskosten inklusive Personal.
Beim Personal müsse das Landratsamt komplett auf die eigenen Leute zurückgreifen, da sich bislang nicht eine einzige Person beworben habe. "Ich muss Leute im Amt aus anderen Abteilungen umsteuern, weil ich von außen einfach keine bekomme", fügte der Landrat an. Der Kreis bekomme derzeit 35 Flüchtlinge pro Woche vom Land Hessen zugewiesen. Geht man von dieser Zahl auch weiterhin aus, werde die gerade im Aufbau befindliche Gemeinschaftsunterkunft für 420 Personen in 70 Containern bereits Mitte Januar voll sein. Alle geflüchteten Menschen, die darüber hinaus in den Vogelsbergkreis kommen, müssten dann in Unterkünften untergebracht werden, "die wir noch haben". Mit dem wohl linearen Anstieg der Flüchtlingszahlen werde über die kommenden Wochen sukzessive mehr Personal ins Flüchtlingswesen überführt werden müssen. Exakt planen könne man dies aber nicht, weil viele Aussagen für die Zukunft spekulativ seien. Womit Görig allerdings nicht rechnet, ist, dass die Anzahl an neu ankommenden Flüchtlingen geringer werde: "Bislang haben wir die Zuweisungen bis Jahresende erhalten, wie es im Januar weiter geht, wissen wir noch nicht. Aber ich sehe keine Anzeichen, dass es weniger werden." Deshalb sehe er trotz der nun angegangenen Erweiterung der Unterbringungsmöglichkeiten im Kreis spätestens im April 2023 sämtliche Kapazitäten ausgeschöpft. Zunächst müssen in Alsfeld unterhalb der Hessenhalle bis spätestens Ende dieser Woche 87 Container stehen, damit der Betrieb zügig aufgenommen werden könne. Davon seien 70 Container für Wohnzwecke und die übrigen seien für Sanitär, Verwaltung, Security und Betreuung.
Mit der Suche nach weiteren Gemeinschaftsunterkünften im Kreis habe man bereits begonnen, weil zu den bis Ende des Jahres etwa 500 erwarteten Flüchtlingen mit weiteren 500 bis April gerechnet werden müsse. Als Standorte für weitere Gemeinschaftsunterkünfte benannte Görig "einen Schottener und einen Herbsteiner Stadtteil". Hinzu kämen Ulrichstein, eine Erhöhung in Lauterbach und auch wiederum Alsfeld. "In den nächsten Monaten entstehen so weitere 360 Plätze. So ein Containerdorf kann keine Dauerlösung sein. Ich muss aber sagen, es wird an noch einer weiteren Stelle Container geben, da weiß der Bürgermeister bereits bescheid."
Zu den nun zu schaffenden Kapazitäten komme auch noch der Bestand. Bisher habe der Kreis in Summe bereits 1000 Unterbringungsplätze gehabt. Diese gliederten sich in 23 Gemeinschaftsunterkünfte und 65 Wohnungen mit 721 Plätzen in Gemeinschaftsunterkünften und 274 in den Wohnungen auf. In diesen seien zum Teil noch bereits anerkannte Asylbewerber untergebracht, weil für sie einfach keine Wohnung gefunden werden könne.
"Wir haben aus dem Altbestand noch über 700 Leute, das darf man nicht vergessen." Und weiter: "Darüber hinaus haben wir seit März 1575 Ukrainer untergebracht. Davon sind derzeit noch 1230 im Vogelsbergkreis gemeldet." Derzeit seien 147 Wohnungen für 438 Ukrainer angemietet und aktuell immer noch 171 Ukrainer in den Notunterkünften der Kommunen untergebracht. Dazu teilte Görig mit: Die Betreuung der Ukrainer in Zusammenarbeit mit den Kommunen werde parallel bestehen bleiben, so sei es mit den Bürgermeistern besprochen worden. "Daher müssen wir immer von zwei Schienen sprechen. Die Schiene Asylbewerber wird komplett vom Vogelsbergkreis übernommen und bei den Ukrainern helfen die Kommunen mit." Nichtsdestotrotz habe der Kreis weder unendlich Personal noch unendlich Platz. Die Kommunen müssten vieles ehrenamtlich schultern und auch hier seien die Kapazitäten erschöpft. Daher habe der Kreis entschieden, die Schiene Asylbewerber komplett zu übernehmen.
Standort Alsfeld
Warum nun die Entscheidung gefallen sei, neben der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen auch noch das Containerdorf in Alsfeld aufzubauen, wolle er ausführlich erklären. Zunächst sei eigentlich Lauterbach im Gespräch gewesen, aber das habe sich nicht realisieren lassen. "Dazu hätte es Parallelstrukturen gebraucht, die hatten wir einfach nicht. Es war, einfach nicht zu stemmen." In Alsfeld sitze im Pferdezentrum bei der Hessenhalle die Dienststelle des Flüchtlingswesens. Außerdem müsse man auch die Betreuung durch das Rote Kreuz Alsfeld, Catering, Security und ärztliche Versorgung berücksichtigen. So werde in Alsfeld mit hoher Wahrscheinlichkeit das DRK Alsfeld die Betreuung gewährleisten. Aber sowohl mit dem DRK als auch in Sachen ärztliche Versorgung für Flüchtlinge seien noch Details zu klären.
Dass die Aufnahme von so vielen Menschen in Alsfeld schwierig werde, sei nicht von der Hand zu weisen. Er sehe bereits jetzt jeden Tag auf dem Weg nach Hause von Lauterbach nach Romrod, wie viele Menschen dort unterwegs seien. Trotzdem müsse der Kreis so lange nach Unterbringungsmöglichkeiten suchen, so lange nicht klar sei, ob eine Reduzierung bei der Zuweisung stattfinde. Zur Not müsse sogar das Containerdorf noch aufgestockt werden. "Wir bekommen einfach keine Wohnungen, das zeigt sich schon daran, dass wir nicht einmal welche für anerkannte Asylbewerber bekommen." Eine weitere Herausforderung bei der Erstzuweisung sei, dass man erst kurz vor Ankunft mitgeteilt bekomme, ob Schwangere, ein behindertes Kind oder jemand, der dringend medizinisch versorgt werden müsse, ankomme. Vieles müsse kurzfristig bewältigt werden. "Das geht alles Spitz auf Knopf." Es gehe zunächst erstmal darum, die Menschen nicht auf der Straße stehen zu lassen. Auch wenn der Kreis nun die weiteren Kapazitäten in anderen Kommunen schaffe, sei nicht gesagt, ab wann man dann den Betrieb im Alsfelder Containerdorf zurückfahren könne.
Langfristige Herausforderung
Nach der Aufnahme in Gemeinschaftsunterkünften oder Wohnungen dürfe man auch den zweiten Schritt nicht vergessen. Große Themen seien Kindergarten, Schulen und die medizinische Versorgung im Vogelsberg. Dafür brauche es Räumlichkeiten, Kindergärtnerinnen, Lehrkräfte, Integrationsklassen oder Ärzte. "Es gibt noch viele weitere Bereiche, die viele noch nicht einmal im Kopf haben. Vieles in unserer Infrastruktur ist gar nicht auf den starken Zuzug ausgelegt", gibt Görig abschließend zu bedenken. Er habe gar keine andere Möglichkeit gesehen, wie viele andere seiner Kollegen in der Bundesrepublik, seiner Bedenken an höhere Stellen zu adressieren. Nicht nur die Möglichkeiten des Vogelsbergkreises seien begrenzt.