Vogelsbergkreis: „FSJler sind selten geworden”

Eine kleine Einweisung in die Gebärdensprache bekommt die Schülerin von ihrer FSJlerin Ellinor Wahby. Schlitt

Ellinor Rahel Wahby über ihr Freiwilliges Soziales Jahr an der Brüder-Grimm-Schule in Alsfeld.

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VOGELSBERGKREIS. Die Vorteile eines Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) liegen auf der Hand: berufliche Orientierung, persönliche Weitentwicklung, Auszeit zwischen Schule und Ausbildung oder Studium sinnvoll nutzen oder ganz einfach das Sammeln von praktischen Erfahrungen. Dies sind nicht nur die Vorteile, die offiziell gerne genannt werden, es sind auch die Vorteile, die man tatsächlich sieht und täglich erlebt. Das sagt zumindest Ellinor Rahel Wahby. Die Zwanzigjährige absolviert derzeit ihr FSJ an der Brüder-Grimm-Schule. Im vergangenen Jahr hat sie ihr Abitur gemacht und wollte nicht direkt danach an die Uni.

Eine kleine Einweisung in die Gebärdensprache bekommt die Schülerin von ihrer FSJlerin Ellinor Wahby. Schlitt
Ellinor Wahby fühlt sich wohl in der Brüder-Grimm-Schule.

"Also habe ich mir überlegt, was ich tun könnte, auch mit Blick auf meinen Berufswunsch", sagt die junge Frau, die sich unter anderem für das Lehramt interessiert. Sie wohnt ganz in der Nähe der Brüder-Grimm-Schule und kannte die Einrichtung daher schon ein bisschen. Als sie sich dort vorstellte, freuten sich nicht nur die 50 Schülerinnen und Schüler, sondern ganz besonders die Schulleitung und das Kollegium, denn: "FSJler sind selten geworden", sagt Schulleiterin Claudia Janich. Nicht nur in ihrer Schule, sondern generell könne man ein schwindendes Interesse der jungen Menschen an dem sozialen Dienst wahrnehmen. "Das ist schade, denn was man in einem FSJ lernt, das kann man sonst nirgends lernen - und wann wäre die Zeit günstiger als nach der Schule und vor der Ausbildung?" Ellinor Wahby kann dem nur zustimmen. Natürlich berichtet sie von Routinen und von Arbeiten, die nicht allzu viel Spaß machen, doch die meiste Zeit fühlt sie sich gut gefordert: In drei verschiedenen Klassen ist sie aktiv, um dort den Schülerinnen und Schülern mit geistigen Handycaps beizustehen: "Ich helfe den Kindern und Jugendlichen bei verschiedenen Aufgaben - das können ganz alltägliche Dinge sein wie Unterstützung im Morgenkreis oder bei den kleinen Ämtern, die sie in der Klasse übernehmen müssen. Dazu gehört mitunter auch körperliche Pflege, denn einige benötigen Hilfe bei der Körperhygiene." Allzu große Berührungsängste sollte man also gerade an dieser Schule nicht haben - das hat die FSJlerin schon festgestellt. Sie hilft im Sportunterricht oder in der Küche, unterstützt bei Ausflügen und den AGs. Besondere Freude macht es ihr, zu sehen, was diese Kinder und Jugendlichen trotz ihrer Einschränkung schaffen können und wie sehr sie sich darüber freuen, wenn ihnen etwas gelingt und ihnen jemand hilft. Auch über die vielen Hilfsmittel, die den Schülerinnen und Schülern beispielsweise die Kommunikation erleichtern, war Ellinor Wahby zunächst erstaunt. "Viele können sehr gut damit umgehen", hat sie festgestellt. "Es gibt hier tatsächlich viele technische Möglichkeiten, die den Menschen mit Behinderung hier das Leben erleichtern."

Vorbereitung und Aufarbeitung finden neben fachlichem Input in den Seminaren statt, in denen die FSJler einer bestimmten Region sich treffen: Austausch, Infos über relevante Themen und pädagogische Inhalte werden dort geboten - eine Bereicherung auf dem Weg zur Persönlichkeitsbildung wie bei der Berufswahl. "Nicht wenige unserer ehemaligen Zivis und FSJler haben während ihrer Zeit bei uns ihren Berufswunsch geändert, sind Förderschullehrer, Erzieherinnen oder Heilerziehungspfleger geworden - ein paar von ihnen sind dann in ihrem Berufsleben auch wieder hier gelandet", sagt Schulleiterin Janich.

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Die Verwaltungsangestellte Astrid Dippell indes weist Interessenten auf die Möglichkeit hin, zwei Schnuppertage zu absolvieren. "Dann können alle Beteiligten sehen, ob es passt oder nicht." Bei Ellinor Wahby passt es offenbar: Seit vergangenem September ist sie jetzt schon an der Brüder-Grimm-Schule und erlebt dort jeden Tag etwas Neues. "Ich habe unter anderem schon gelernt, geduldiger zu sein", sagt sie, und es lohnt sich: "Die Rückmeldungen der Schülerinnen und Schüler kommen ganz direkt und unverstellt. Dafür dauert eben alles ein wenig länger." Noch hat sie ein paar Monate zu absolvieren und somit die Gelegenheit, auch von der Dauer her ganz normale Arbeitstage einzuüben - mit viel Abwechslung und ein wenig Routine. Doch schon jetzt sagt sie: "Ich würde es wieder tun. Ich komme jeden Tag gerne, lerne tolle Sachen, habe super Schülerinnen und Schüler und bin von dem Kollegium hier sehr gut aufgenommen worden." Sie glaubt, dass der Druck, möglichst schnell mit allem fertig zu werden, schwer auf ihr und den Gleichaltrigen lastet und dazu führt, dass viele ihrer Altersgenossen direkt nach dem Abitur mit Ausbildung und Studium weitermachen. "Doch gerade jetzt sollte man sich die Zeit für ein FSJ nehmen: Der Horizont weitet sich, das Selbstvertrauen wächst und Perspektiven gibt es obendrein!"