VOGELSBERGKREIS - Auf Kritik stoßen die Pläne der Landesregierung bei Vogelsberger Verwaltungschefs.
"Wir hätten das auch selbst gemacht", sagt Landrat Manfred Görig. Er weiß, wie schnell sich die finanzielle Lage des Kreises ändern kann, sollten die derzeit historisch niedrigen Zinsen hochgehen, deshalb hat auch er ein starkes Interesse daran, die Altschulden abzubauen. "Die Frage ist nur, wie man das macht?" Es wäre einfacher, sagt er, wenn der Plan längerfristig greifen würde. "Man kann das hier doch nicht mit der Brechstange machen." Und: Man müsse über Alternativen nachdenken. Zum Beispiel könnten Kassenkredite in ordentliche Kredite umgewandelt werden. Dann müssten zwar mehr Zinsen gezahlt werden, gleichzeitig aber gebe eine längere Laufzeit eine gewisse Sicherheit.
Aufgelaufen seien die Kassenkredite des Kreises seit 2001. Nach finanziell angespannten Jahren - 2011 etwa lag das Minus noch bei 18 Millionen, heute schließt der Haushalt mit einem Plus von 6 Millionen ab - habe sich der Kreis mittlerweile etwas erholt, allerdings seien dabei auch schon sämtliche Einsparpotenziale überprüft worden. "Wir sehen doch, selbst wenn wir überall richtig sparen, geht es gerade so auf", sagt Görig. Zusätzliches Geld aufbringen - das sei fast nicht möglich, einzig über eine Erhöhung der Kreisumlage.
Kein Verständnis für die Pläne des Landes hat Romrods Bürgermeisterin Dr. Birgit Richtberg: "Das könnten wir mit einem Achselzucken abtun, denn wir haben keine Kassenkredite", erklärte die Bürgemeisterin. Wenn der Kreis für den Schuldenabbau aber die Kreisumlage um 6,6 Punkte erhöhen müsste, würde das für Romrod bedeuten, dass die Stadt zehn Jahre lang pro Jahr 200 000 Euro mehr an den Kreis zahlen müsse. "Dann ist bei unserem kleinen Polster der Ausgleich des Haushaltes nicht mehr möglich", fürchtet die Rathauschefin. Sie setzt ihre Hoffnung nun auf politischen Druck, der darauf abziele, entweder den Zeitraum des Schuldenabbaus zu strecken oder eine Umschuldung über die WI-Bank zu den aktuell günstigen Zinssatz zu ermöglichen. "Das ist für mich ein erneuter Affront gegen die Kommunen im ländlichen Raum", ereifert sich Dr. Richtberg.
Hart treffen würden die Pläne des Landes auch Feldatal. Über 1,6 Millionen Euro alter Kassenkredite müsse die Gemeinde im schlimmsten Fall in zehn Jahren abbauen. Zu diesen rund 160 000 Euro pro Jahr drohen im Extremfall 183 000 Euro mehr an Kreisumlage pro Jahr. "Damit haben wir uns noch nicht beschäftigt", erklärt dazu auf Anfrage unserer Zeitung der Beigeordnete Manfred Müller. Erschwerend komme hinzu, dass bereits in der aktuellen Haushaltsdiskussion für einen Etat-Ausgleich eine Erhöhung der Grundsteuer von 365 auf 600 Punkte diskutiert werde.
"Wir wissen noch nicht genau, was kommt", blickt dagegen Alsfelds Rathauschef Stephan Paule voraus. "Dass die Kassenkredite zurückgefahren werden müssen, ist allen klar, die Frage ist, ob es dafür eine Art zweiten Rettungsschirm für die Kreise und Kommunen geben wird", setzt Paule auf Unterstützung des Landes. Wobei das Problem für den Alsfelder Bürgermeister weniger in der eigenen Situation liegt: "Wir werden unsere Kassenkredite im April auf acht Millionen Euro zurückfahren und in diesem Jahr aufgrund der guten Liquiditätslage noch weiter zurückfahren, sodass bei einem erlaubten Rahmen von 1,6 Millionen Euro die Entschuldung machbar ist." Allerdings gelte das nicht für den Anteil der Kreisschulden, die auf Alsfeld entfallen würden. "In einem Zeitraum von zehn Jahren ist das nicht zu refinanzieren", macht Paule klar, dass eine mögliche jährliche Zusatzzahlung an Kreisumlage von 1,4 Millionen Euro auch die Stadt hart treffen würde.
Für die Stadt Lauterbach gibt es kein "Abbauerfordernis" von aufgelaufenen Fehlbeträgen, die sich zum Stichtag 31. Dezember 2015 auf "nur" rund 78 000 Euro belaufen. Warum die Stadt verhältnismäßig gut dasteht? "Wir haben in den vergangenen Jahren viele unbequeme Maßnahmen getroffen und sind voll auf der Konsolidierungsschiene. So wie für den Schutzschirm mit dem Land vereinbart", kommentiert Lauterbachs Rathauschef Rainer-Hans Vollmöller das Ergebnis. Lauterbach sei aktuell auf einem guten Weg. Sollte es zu einer Erhöhung der Kreisumlage kommen, könne das die Stadt nicht schultern. Der Plan, die Grundsteuer in der Stadt zu senken, rücke dann in weite Ferne. Alleine eine Erhöhung um 3,3 Prozent bedeute umgerechnet 120 Punkte Grundsteuer B. Ein Weg aus der Misere könnte ein "Schutzschirm 2" des Landes sein. Eine weitere massive Erhöhung der Grundsteuer sei den Lauterbacher nicht zumutbar.
Zu den "Spitzenreitern" mit den höchsten aufgelaufenen Fehlbeträgen zählt im Vogelsbergkreis nach Alsfeld die Stadt Ulrichstein mit rund 3,3 Millionen Euro. Warum das so ist, erläutert Bürgermeister Edwin Schneider auf Anfrage unserer Zeitung. Bei der Errichtung von Windkraftanlagen seien insbesondere durch die nicht zu realisierenden Pacht- und Gestattungsentgelte aus bestehenden städtebaulichen Verträgen sehr hohe Ertragsausfälle entstanden, so Schneider. "Wir haben zudem in den vergangenen Jahren erforderliche Instandhaltungsaufwendungen und notwendige Investitionen zur Erhaltung der Infrastruktur getätigt", sagt er und benennt als Beispiele die Bereiche Kindergärten und Feuerwehr, die Erhaltung und den Betrieb der Dorfgemeinschaftshäuser, Investitionen im Zuge von Dorferneuerungsmaßnahmen, Straßenunterhaltung und Investitionen in den Straßenbau und auch für das Badebiotop und Tourismusförderung.
Wie und ob es Ulrichstein gelingen kann, die Defizite abzubauen? "Wir müssen sämtliche Ausgaben und Investitionsmaßnahmen auf den Prüfstand stellen, Friedhofsgebühren erhöhen und prüfen, ob eine Rückführung beziehungsweise eine Auflösung des Eigenbetriebes positive Auswirkungen auf den Kernhaushalt hat", sagt Schneider und weiß: "Ohne spürbare Erhöhung der Grundsteuerhebesätze wird eine Rückführung der Kassenkredite und der Fehlbeträge aus Vorjahren nicht zu realisieren sein!"
Bei einem Abbauerfordernis von rund 3,3 Millionen Euro - niedrig angesetzt - in zehn Jahren wäre eine Erhöhung der Grundsteuerhebesätze A und B um jeweils 300 Prozent von derzeit 359 Prozent auf 659 Prozent erforderlich. "Hierin wäre jedoch noch nicht eine mögliche Erhöhung der Kreisumlage berücksichtigt." Der Abbau der Kassenkredite der Stadt und des Vogelsbergkreises innerhalb von zehn Jahren würde für Ulrichstein bedeuten, dass die freiwilligen Leistungen wie Badebiotop, Museum, Wohnmobilstellplatz, Dorfgemeinschaftshäuser, Sport- und Vereinsförderungen zusätzlich zu einer sehr schmerzhaften Erhöhung der Realsteuersätze gestrichen werden müssten, zeigt sich der Bürgermeister überzeugt.
Das Land Hessen sei gefordert, die jahrzehntelange ungenügende Finanzausstattung des ländlichen Raums zu beenden und verstärkt den demografischen Wandel sowie endlich auch den Flächenfaktor bei den Geldzuweisungen zu berücksichtigen. Wie Vollmöller fordert auch Schneider eine "weitere Art eines "Schutzschirmes", um einen Großteil der Fehlbeträge finanziell auszugleichen. Auch der angedachte Zeitraum zum Abbau dieser Kredite von zehn Jahren sei zu kurz gedacht, der mindestens 20, eher 30 Jahre betragen müsste. "Es sollte auch die Möglichkeit geschaffen werden, die kurzfristigen Kassenkredite in langfristige Schulden umzuwandeln, und zwar mit einem angemessenen Zinszuschuss des Landes."