Sandra Hammamy berichtet am Samstag in Gemünden über die Situation vor den Küsten Europas
Von Gerhard Kaminski
Mittelmeer: Ein Seenotretter (links) schaut zu einem Flüchtlingsboot. Symbolfoto: Fabian Heinz/Sea-Eye/dpa
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GEMÜNDEN - GemündenDer italienische Innenminister Matteo Salvini, der Schlagzeilen machte, indem er Rettungsschiffen mit in Seenot geratenen Flüchtlingen an Bord wochenlang die Einfahrt in Häfen verweigerte, ist nicht mehr im Amt. Haben sich dadurch die Bedingungen für die zivilen Rettungseinsätze im Mittelmeer verbessert? Sandra Hammamy, die sich seit der Gründung von "Sea Watch" engagiert, war zuletzt im August vor Ort. Sie arbeitet als Dozentin am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Gießener Universität und wird am Samstag nach Gemünden kommen, um ihre Eindrücke zu schildern. Vorab machte sie im Gespräch mit unserer Zeitung deutlich, wie schwierig die Situation für die Geflüchteten wie für die zivilen Rettungsorganisationen ist.
Frau Hammamy, Sie waren im August zuletzt in der Mittelmeerregion. Hat sich die Situation entspannt?
Hammamy: Ich war auf der "Open Arms" und der Insel Lampedusa, wo die Geflüchteten nach 19 Tagen auf dem Schiff endlich an Land gelassen wurden. Vorher war Panik ausgebrochen und einige Menschen sprangen ins Meer. Die Situation war für diese wie für die Crew unerträglich.
Italiens Innenminister hieß damals noch Matteo Salvini. Mittlerweile ist er nicht mehr im Amt. Hat sich die Lage dadurch verbessert?
Die Zahl der Menschen, die in Libyen losfahren, ist nicht kleiner geworden, aber es gibt deutlich weniger Rettungsschiffe. Die staatliche europäische Seite, Marine und Küstenwache, hat sich völlig zurückgezogen. Von den ehemals zwölf zivilen Rettungsschiffen verschiedener Nichtregierungsorganisationen (NGO) ist nur noch eins unterwegs, maximal zwei. Die Europäische Union (EU) hat eigene Maßnahmen, wie das Programm SOPHIA, eingestellt und überlässt es der libyschen Küstenwache das Mittelmeer zwischen Italien, Malta und der libyschen Küste zu überwachen. Die EU-Staaten kontrollieren das Gebiet jetzt mit Militärflugzeugen aus der Luft. Für uns ist bisher keine positive Veränderung durch den Regierungswechsel in Italien spürbar.
"ERTRINKEN GEHT GANZ SCHNELL"
Sandra Hammamy berichtet über die Seenotrettung vor den Küsten Europas
Samstag, 16. November, um 18 Uhr im evangelischer Gemeindesaal, Hohlstraße 7, in Nieder-Gemünden. Veranstalter ist die Flüchtlingsinitiative Gemünden. (gka)
Was bedeutet das für die Arbeit von zivilen Hilfsorganisationen wie "Sea Watch"?
Die Rettungsschiffe werden nach und nach aus dem Verkehr gezogen, sodass es keine zivilen Beobachter mehr gibt. Dabei wird, wie im Fall der "Sea Watch" im letzten Jahr auf Malta gegen gültiges Recht verstoßen. Juristisch dagegen vorzugehen dauert Monate und so schaffen es die Regierungen, die Rettungskräfte dort nach und nach herauszuziehen.
Um dennoch dokumentieren zu können, was dort passiert, haben wir ein eigenes Beobachtungsflugzeug im Einsatz, den "Moonbird".
Wie beurteilen Sie den Einsatz der libyschen Küstenwache?
Sie hat klar die Mission, Boote mit Geflüchteten zurück nach Libyen zu bringen. Die Küstenwache ist von der EU ausgebildet und mit verantwortlich dafür, dass sich die Menschen zur Flucht über das Mittelmeer veranlasst sehen.
Wir haben dokumentiert, dass sie teilweise tagelang nicht über Funk zu erreichen ist. Das hat schon dazu geführt, dass Boote 24 oder gar 48 Stunden komplett sich selbst überlassen waren.
Für die Crew der Moonbird ist das ein harter Job, sie schauen zu, wie Schlauchboote kaputt gehen und Menschen zu ertrinken drohen, können aber - im Unterschied zu einer Schiffsbesatzung - nicht eingreifen. Sie müssen untätig bleiben.
Was müsste geschehen, um die Situation zu verbessern?
Die europäischen Staaten müssen endlich einen verbindlichen Verteilungsmechanismus für Geflüchtete vereinbaren. Es ist nachvollziehbar, dass Länder wie Italien und Griechenland die Last der Flüchtlingsströme nicht allein stemmen können, weil sich die übrigen europäischen Mitgliedstaaten nicht beteiligen wollen. Es könnte dazu führen, dass die Menschen tatsächlich schneller an Land gebracht werden. Außerdem wäre es hilfreich, wenn die staatlich organisierte Seenotrettung wieder zum Einsatz käme und nicht die zivilen Organisationen allein versuchen, die Notlage zu bewältigen. Außerdem darf es nicht bei den individuellen Lösungen bleiben. In jedem Einzelfall müssen die Rettungsschiffe darum betteln, in einem Hafen anlegen zu dürfen.
... und werden anschließend vor Gericht gestellt.
Ja, das müsste auch ein Ende finden. Die zivilen Retter werden kriminalisiert. Ihnen drohen teilweise hohe Haftstrafen und die Verfahren werden sehr schleppend betrieben. Im Zusammenhang mit der "Iuventa X" in Italien laufen die Ermittlungen seit zwei Jahren. Bisher wurde keine Anklage erhoben. Das betrifft teilweise gute Freundinnen, für die jetzt ein Zustand der Rechtsunsicherheit besteht. Sie können keine langfristigen Pläne machen.
In diesem Zusammenhang ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass es uns nicht darum geht, was uns immer wieder vorgeworfen wird, dass wir jeden Menschen nach Europa holen wollen. Wir retten Menschen aus akuter Seenot, hier vor unserer Haustür. Das gilt in der Seefahrt immer noch als Grundsatz: Menschen in Seenot werden gerettet. So verlangt es beispielsweise die UN-Seerechtskonvention. Jetzt sitzen Menschen in Haft, die genau das getan haben.
Welche Perspektiven sehen Sie für Ihre Arbeit?
Der Fluchtdruck ist ungemindert hoch. Gleichzeitig hat das Interesse der Medien nachgelassen, was daran liegt, dass die EU ihre finanzielle und militärische Macht einsetzt, um die Menschen von Europas Küste fernzuhalten, dafür zu sorgen, dass sie nach Libyen zurückgebracht werden.
Auf der anderen Seite gibt es großartige Unterstützung durch Initiativen wie die "Seebrücke". Dabei erklären sich Städte zu "sicheren Häfen", die bereit sind, Menschen aufzunehmen, die gerettet werden konnten. Das geht mittlerweile relativ schnell, aber solange das nicht vom Bundesinnenministerium mitgetragen wird, bleibt es dabei.
Innenminister Seehofer hat beispielsweise zugesagt, elf Leute von der "Sea Watch 3" nach Deutschland zu holen. Eingehalten wurde bisher nichts. Warum diese Menschen nicht nach Deutschland dürfen und Zusagen nicht eingehalten werden, ist nicht nachvollziehbar - nach fast vier Monaten.
Sie halten viele Vorträge in Großstädten. Jetzt kommen Sie schon zum zweiten Mal in die kleine Gemeinde Gemünden. Wie kam es dazu?
Ursprünglich kam eine Anfrage von Rainer Lindner von der Flüchtlingsinitiative Gemünden. Er war wohl auf unsere Arbeit aufmerksam geworden und vielleicht spielte auch die Nähe zu Gießen eine Rolle. Ich finde es großartig, wie sich die Flüchtlingsinitiative engagiert. Deshalb komme ich gern nach Gemünden.