Ein Blick auf die Stadt Arad in Rumänien - seit einiger Zeit das Zuhause von Ronja Pohl aus Lautertal. Fotos: Pohl
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LAUTERTAL/RUMÄNIEN - Lautertal/Rumänien"Rumänien? Was zur Hölle willst Du denn da?" Eine berechtigte Frage, schließlich zählt Rumänien nicht unbedingt als das Urlaubsland überhaupt (obwohl das schwarze Meer schon ein beliebtes Ziel ist). Stattdessen kennen viele - zumindest wenn ich mal von den Reaktionen ausgehe, die ich bekommen habe, wenn ich jemandem erzählt habe, dass ich nach Rumänien ziehen werde - Rumänien als das "Armenhaus und Sorgenkind der EU", das Land der Sinti und Roma und der furchtbar leidenden Straßentiere. Außerdem ist bei Dunkelheit dort immer Graf Dracula unterwegs und nur mit etwas Knoblauch und einem Holzpflock kann ich mich gegen ihn schützen. Gegen Taschendiebstahl hingegen kann ich mich angeblich gar nicht wehren. Und wenn ich mal ganz ehrlich zu mir bin, wusste ich vor wenigen Monaten auch nicht viel mehr. Doch mit nur einer E-Mail war mein Interesse an Rumänien, einem Land, von dem ich vorher eigentlich hauptsächlich nur negative Vorurteile und ein paar eher neutrale Fakten, aber keine positiven Dinge im Kopf hatte, geweckt. Es war eine E-Mail von "kulturweit". In dieser Mail bot die Organisation an, dass ich meinen Freiwilligendienst in Arad, einer Stadt in Westrumänien, machen könne. Ich hab nicht lange überlegt, sondern beinahe sofort zugesagt.
Der internationale Kultur-Freiwilligendienst der Deutschen UNESCO-Kommission bietet Menschen zwischen 18 bis 26 Jahren die Möglichkeit, sich für sechs oder zwölf Monate in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik zu engagieren. Dabei werden alle Freiwilligen finanziell unterstützt und in Seminaren begleitet. Damit steht "kulturweit" allen jungen Menschen offen! (Quelle: www.kulturweit.de )
Für mich persönlich hat "kulturweit" ein paar Vorteile gegenüber anderen Organisationen, die ähnliche Programme anbieten: Zum einen braucht man keinen sogenannten Spenderkreis in Deutschland, also niemanden, der einem monatlich einen gewissen Betrag überweist. Man muss also selber nichts zahlen und auch niemand aus dem eigenen Umfeld. Und zum anderen muss man sich bei der Bewerbung nicht auf ein Land oder eine Region beschränken, aber man kann es tun. Das geht zwar nicht exakt, da man sich nicht direkt für die Stelle in zum Beispiel Arad bewirbt, aber man kann einzelne Regionen als Prioritäten angeben oder ausschließen. Oder man macht es wie ich, und gibt jede Region als höchste Priorität an und lässt sich überraschen, wohin es geht, insofern man eine Zusage bekommt. Das erhöht natürlich auch die Chance, überhaupt angenommen zu werden.
So wurde Rumänien das Land für mich, das momentan meinen Lebensmittelpunkt darstellt. Seit etwa einem Monat lebe ich nun hier und arbeite am Adam-Müller-Guttenbrunn-Lyzeum, also einem Gymnasium (in Rumänien bedeutet das von Klasse fünf bis Klasse acht) und einem Lyzeum (Klasse acht bis Klasse zwölf) als Freiwillige. Im Klartext bedeutet das, dass ich viel im Unterricht hospitiere, selbst das eine oder andere Mal unterrichte und die Lehrer in den Stunden - soweit ich kann - unterstütze. Außerdem gebe ich Nachhilfe, leite AGs und organisiere verschiedene Projekte mit den Schülern. Was man als Kultur-Freiwilliger alles machen kann, darf oder muss, hängt aber nicht direkt von "kulturweit" ab, sondern davon, was bei der Einsatzstelle gerade möglich und/oder nötig ist. Es ist noch wichtig zu erwähnen, dass nicht alle Einsatzstellen Schulen sind. Es gibt auch Kindergärten, Universitäten, Zeitungen oder Radios. Die Einsatzstellen hängen von den "kulturweit"-Partnern ab. Ich bin über den pad/zfa (Pädagogischer Austauschdienst und Zentralstelle für Auslandsschulwesen) in Rumänien gelandet, deswegen kann ich zu den anderen Partnern, wie zum Beispiel dem Goethe-Institut, nichts sagen.
In den vergangenen Wochen hier habe ich einiges gelernt. Zum ersten Mal in meinem Leben wohne ich alleine und nicht mehr bei meinen Eltern. Ich wusste zum Beispiel nicht, wie schnell sich eine große Menge an dreckigem Geschirr ansammeln kann. Außerdem habe ich in den letzten Wochen so oft mit verschiedenen Klassen "Stadt-Land-Fluss" gespielt, dass ich darin deutlich besser geworden bin. Ich habe traditionelle Feste, wie zum Beispiel die Kirchweihe (Kerwei), erlebt. Dabei wird der Tag gefeiert, an dem die Kirche eingeweiht wurde. In traditionellen Trachten, die zumindest ein wenig an die Trachten der Lauterbacher Trachtengilde erinnern, ziehen Jugendliche durch die Straßen der Stadt und feiern danach in einem Festgottesdienst die Kerwei. In Arad ist dieser Gottesdienst übrigens dreisprachig: rumänisch, ungarisch und deutsch. Die Jugendlichen gestalten diesen Gottesdienst mit, lesen Gebete vor und ziehen zum Schluss wieder gemeinsam aus.
Neben der Warnung vor Taschendieben wurde ich auch oft davor gewarnt, dass die Mentalität der Rumänen schon sehr anders sei, als man es von Deutschland kenne. Pauschal wollte ich dieser Warnung nicht glauben, schließlich ist ja jeder Mensch anders. Ich probierte, so offen wie möglich zu sein und alles auf mich zukommen zu lassen. Genau das habe ich auch getan, was aber schon zu der einen oder anderen merkwürdigen Situation geführt hat, da ich irgendwie immer den Zeitpunkt verpasst habe, einfach mal "nein" zu sagen. Meine Vermieter sind wirklich sehr nett und gastfreundlich. Diese Gastfreundschaft leben sie anscheinend am liebsten in meiner Wohnung aus. So haben sie mich schon mehrfach besucht, manchmal einfach nur, um in meiner Küche zu sitzen und Zeitung zu lesen und manchmal auch, um mein Wohnzimmer komplett umzuräumen. Die Kommunikation zwischen uns ist definitiv noch ausbaufähig.
Außerdem irritierend sind die starken Unterschiede, die man auf den Straßen sieht. Eine riesige moderne Mall steht neben heruntergekommenen Häusern, deren Putz abblättert. Modeketten wie H&M und New Yorker haben ihre Filialen neben dunkel und schäbig aussehenden Second-Hand-Geschäften. Es gibt die auch in Deutschland bekannten Supermärkte Lidl und Kaufland oder Drogeriemärkte wie DM, aber es gibt auch einen großen Markt, der aus eng aneinander gedrängten Ständen besteht, die von gefälschten Sneakern und Markenkleidung und frischen Blumen, über Fleisch, Käse, Obst und Gemüse bis hin zu Kosmetikartikeln, Küchenzubehör (zum Beispiel Töpfe, aber auch Wasserhähne) oder auch Spiel- und Schreibwaren gefühlt alles anbieten.
Man sieht den aufblühenden Kapitalismus neben purer Armut, modernste Kleidung neben traditionellen Trachten. Alte wie junge Menschen drängen sich morgens in die gleichen Straßenbahnen, die teilweise neu und modern sind, aber teilweise auch so alt und klapprig, dass man sich wundert, wie diese Bahnen überhaupt noch fahren können.
Die letzten Wochen waren voller Herausforderungen. Zum ersten Mal alleine zu sein, ohne auch nur eine Person wenigstens halbwegs in der Nähe zu haben, die man vorher schon kannte, hat bei mir zwar (noch) nicht zu Heimweh geführt, aber trotzdem vermisse ich meine Freunde und Familie ganz anders, als ich es erwartet hätte. Ich hätte auch keine Waschmaschine erwartet, die man nur benutzen kann, wenn der Kühlschrank vom Strom genommen wurde, da sonst die Sicherung herausfliegt. Oder einen Backofen, der mit Klebeband zugeklebt und unbenutzbar ist, ohne dass mir die Vermieter wirklich sagen können, was daran eigentlich kaputt ist. Er geht eben einfach nicht. Aber ich habe auch nicht mit (teilweise) so netten Schülern gerechnet. Vor allem nicht, wenn ich daran zurückdenke, wie meine Mitschüler und ich vor gar nicht allzu langer Zeit mit unerfahrenen Lehrern und Praktikanten umgegangen sind. Da bin ich doch froh, dass die Schüler hier sich bisher immer noch sehr freuen, wenn ich und kein Lehrer den Klassenraum betrete, und mich zum Abschied nach den Stunden umarmen wollen.
Doch mein Freiwilligendienst hier in Rumänien hat natürlich noch mehr zu bieten als die Arbeit. Schließlich lebe ich ja in einem Land, über das ich vorher kaum nachgedacht habe. Und dazu gehören natürlich auch die Menschen. Auch jetzt, wo ich schon ein paar Wochen hier bin, will ich nicht von der Mentalität der Rumänen sprechen - jeder Mensch ist anders und so ist es auch jeder Rumäne. Es gibt Menschen, die mich unfassbar herzlich aufgenommen haben, aber auch Menschen, vor denen ich sowohl in Deutschland als auch hier in Rumänien schon oft gewarnt wurde. Und nein, ich rede nicht von den Vampiren, schließlich liegt Arad nicht in Transsylvanien. Anders als in Deutschland gehört es hier schon zu meinem Alltag, dass ich immer wenn ich unterwegs bin genauer auf mein Handy und auf meinen Geldbeutel aufpasse. Beklaut wurde ich aber bisher noch nicht.
Eine weitere Sache, die mir sehr stark aufgefallen ist: Zumindest in der Schule, allerdings nicht nur im Deutschunterricht, wird viel mehr von Deutschland gesprochen und an Deutschland gedacht - während im Gegenzug Rumänien in Deutschland kaum präsent ist. Ein Beispiel ist der 3. Oktober, also der Tag der deutschen Einheit. In Rumänien ist das - eigentlich - kein Feiertag. Und dennoch werden hier in der Schule an diesem Tag die deutsche Nationalhymne und die Europahymne gesungen. Ich kann mich nicht daran erinnern, die Hymne auch nur einmal (außer im Musikunterricht) in der Schule gesungen zu haben. Abgesehen davon, dass ich an dem Abend nach Temeswar, eine Stadt in der Nähe von Arad, in das Konsulat der deutschen Botschaft zu einem offiziellen Empfang eingeladen war, war mir dieser Feiertag hier viel präsenter, als er mir je in Deutschland war - auch wenn ich sonst immer frei hatte und dieses Mal natürlich arbeiten musste.
Ein anderer besonderer Tag im rumänischen Schulalltag fiel dieses Jahr auf den 5. Oktober: der Welttierschutztag. Schon im Vorhinein wurde ich von Schülern gefragt, ob ich von ihnen gestartete Petition zum Schutz der Straßentiere unterschreiben könne. Am Welttierschutztag fand dann zwar trotz klagender Schüler halbwegs normaler Unterricht statt, allerdings durfte an diesem Tag jeder sein Haustier mitbringen, egal ob Hund, Hase, Katze, Vogel, Schildkröte,...
Ich bin mir sicher, dass ich die Unterschiede zwischen Rumänien und Deutschland auch in den nächsten Wochen und Monaten weiterhin bemerken werde, spätestens wenn der Winter richtig losgeht. Wobei Unterschiede ja nicht unbedingt schlecht sind: Ich habe lange nicht mehr so leckeres Obst & Gemüse gegessen wie hier vom Markt.
Der erste Monat meines Freiwilligendienstes war also nicht immer toll, aber insgesamt eine wirklich schöne Zeit und ich freue mich auf die weiteren elf Monate.
Bewerben
Bis zum 1. Dezember 2017 kann man sich übrigens noch für die Ausreise im September 2018 bewerben. Nicht nur wegen meiner bisher so guten Zeit in Rumänien, sondern auch wegen der tollen Betreuung durch das "kulturweit"-Team kann ich jedem, der zum Beispiel nach dem Abitur ins Ausland gehen möchte und Lust auf ein Abenteuer hat, ans Herz legen, sich einmal genauer über "kulturweit" (www.kulturweit.de) zu informieren und sein Glück zu versuchen. Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.