Zur Begrüßung kommen Tisha, Toni, Bixy und Lala ans Gartentor gesaust. Sogar der blinde Theo tapst in Richtung der fremden Stimme. Die fünf Cocker-Spaniel freuen sich über...
LAUTERBACH. Zur Begrüßung kommen Tisha, Toni, Bixy und Lala ans Gartentor gesaust. Sogar der blinde Theo tapst in Richtung der fremden Stimme. Die fünf Cocker-Spaniel freuen sich über Besuch. Was für die meisten andere Hunde normal zu sein scheint, ist für diese Tiere erstaunlich. Denn alle fünf Hunde haben mit Menschen nur schlechte Erfahrungen gemacht. Zumindest, bis sie von Tatjana Bühn zur Pflege aufgenommen wurden. Die gebürtige Lauterbacherin betreibt ehrenamtlich eine Pflegestelle des Vereins "Ausrangiert und Abgeschoben e.V." in Blitzenrod und gewöhnt ehemalige Zuchthunde an ein normales Leben. "Züchter", sagt sie, "ist eigentlich nicht das richtige Wort für diese Leute. Das sind Vermehrer."
Sie unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von seriösen Züchtern. Tatjana Bühn zählt auf: "Die Hündinnen werden in jeder Läufigkeit bedeckt, haben also zwei Mal im Jahr Welpen. Damit das klappt, werden sie mit Hormonen hochgespritzt. Sie leben oft in kleinen Verschlägen, haben kaum Kontakt zum Menschen und manche haben noch nie das Tageslicht gesehen." Die Hunde kämen zum Beispiel aus Frankreich, Belgien oder auch Deutschland. Der Verein erfahre von den Tieren über Mundpropaganda oder werde sogar von den "Vermehrern" selbst angesprochen. "Die melden sich manchmal, wenn die Rüden nicht mehr decken oder die Hündinnen ihre Zuchtleistung nicht mehr bringen oder einfach krank sind. Anstatt sie zu erschlagen oder sonstwie zu töten, geben sie die Tiere dann eben bei uns ab", erklärt sie und fügt erbost hinzu: "Und wahrscheinlich halten sie sich dann für Tierschützer."
Der im Jahr 2010 gegründete Verein kümmert sich aber nicht nur um missbrauchte Hunde. "Wir nehmen zum Beispiel auch Hunde auf, die schon einen Besitzer hatten, der aber dann krank geworden ist." Es wird ausschließlich mit ehrenamtlichen Pflegestellen gearbeitet. Das habe den Vorteil, dass die Hunde in die Familie integriert würden. "Da lernen sie alles, was sie zum Leben brauchen, und die Pflegefamilien lernen die Hunde sehr gut kennen, das hilft bei der Vermittlung", erläutert Bühn das System des Vereins. Der finanziert sich ausschließlich über Spenden und Patenschaften für die Tiere. Die Tierarztkosten übernehme der Verein auch, denn viele Hunde seien bei ihrer Ankunft in der Pflegestelle krank. Was die 59-Jährige dann aufzählt, klingt wie das Handbuch der Hundekrankheiten, von Darmparasiten über Augenentzündungen bis zu Fehlstellungen des Gebisses. "Tisha hier", sagt die Pflegemama und deutet auf ihren neuesten Zuwachs, "hatte Fellprobleme und wog über 30 Kilo, weil sie, um läufig zu werden, mit Hormonen behandelt worden ist." Tisha wird jetzt auf ihr zukünftiges Leben vorbereitet. Tatjana Bühn weiß auch schon genau, wie Tishas Traumfamilie aussieht: "Ohne Kinder, am besten mit Zweithund und ruhigen Menschen, die akzeptieren, wenn sie mal weggeht." Wer sich für Tisha und die anderen Abgabehunde des Vereins interessiert, der findet auf der Homepage des Vereins ausführliche Beschreibungen und Tagebucheinträge zu jedem Tier. Manche Hunde bleiben auch ein Leben lang in Obhut einer Pflegestelle. "Von den 470 Hunden, die wir in den letzten sieben Jahren aufgenommen haben, konnten nur zehn wegen zu starker Einschränkungen nicht vermittelt werden." Es gibt auch Hunde, die das große Los gezogen haben. "Bei Bixy, Toni und Lala", lacht Tatjana Bühn, die seit 14 Jahren Tierschutzhunde aufnimmt, "bin ich eigentlich ein 'Pflegestellenversager'. Die konnte ich nicht mehr hergeben, die haben einfach in den Vogelsberg gepasst."
Der Postbote guckt über den Gartenzaun. "Hier ist ein Paket für Sie." Die Hunde begrüßen auch ihn mit Schwanzwedeln. "Die sind aber süß, sind die verwandt?", fragt er. Als er den blinden Theo mit seinen trüben Augen sieht, zuckt er zusammen. "Ist der blind?" "Ja." "Das tut mir leid." "Muss es nicht, dem geht's gut", sagt Bühn fröhlich. Und so wirkt es auch. Theo wackelt munter in Richtung des kleinen Gartenteiches. "Ein bisschen dement ist er auch", kommentiert sie, "aber das macht nichts. Manchmal vergisst er, dass wir einen Teich haben, dann plumpst er eben rein." Trocken fügt sie hinzu: "Er lernt halt jeden Tag wieder was Neues." Allerdings ist auch der demente Theo den Hunden, die neu auf der Pflegestelle ankommen, in Sachen Alltag weit voraus. Bühn erläutert den Zustand der Hunde bei der Ankunft: "Die Hunde haben Angst vor Menschen, kennen gar nichts. Manche fressen nur vom Boden, weil sie nicht wissen, was ein Futternapf ist. Körbchen, Decke und die Leine sind ihnen fremd. Andere Hunde sind zum Glück meistens kein Problem, weil die Vermehrer die Tiere oft zusammen halten."
Sie wünscht sich, dass sich mehr Leute darüber informieren, was mit den Zuchthunden passiert, die hinter den Billigwelpen stehen. Sie deutet auf den ehemaligen Zuchtrüden Toni: "Den haben sie versucht zu erschlagen. Sein Schädel war angebrochen, als er zu mir kam." Eine Pflegestelle zu betreiben ist aufwendig. Das gehe nur, weil ihr Sohn die Hunde betreue, wenn sie arbeite.
Während unseres Gespräches haben die Cocker unterm Gartentisch leise vor sich hingeschnarcht. Zum Fotomachen werden aber alle rechtzeitig wach. Schließlich hat sich Frauchen Leckerli in die Tasche gestopft. "Ich kämpfe ja mit allen Tricks", grinst Tatjana Bühn. Nur Tisha ist die Fotosession nicht ganz geheuer. Sicherheitshalber legt sie sich ganz dicht neben ihre Pflegemama. Tisha sei eben zurückhaltend, sagt die zum Abschluss. "Aber wer ihr ein bisschen Zeit gibt, kriegt einen super Hund."