Vogelsberger Luchs-Verein nimmt Modellprojekt in Rheinland-Pfalz unter die Lupe
Vor drei Jahre wurde der Förderverein Vogelsbergluchs gegründet. Jüngst hatte eine Gruppe des Vereins zwecks Erfahrungsaustauschs eine Exkursion in den Pfälzerwald unternommen, indem sich der Luchs bereits angesiedelt hat.
Von (sw)
In Rheinland-Pfalz wurden im Rahmen eines großen Projektes erfolgreich Luchse angesiedelt. Foto: Prüssing
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SCHOTTEN - Vor drei Jahre wurde der Förderverein Vogelsbergluchs gegründet. Intention war, eine mögliche Rückkehr der Wildkatze in den Vogelsberg vorzubereiten, die Mitte des 19. Jahrhunderts in Mitteleuropa weitgehend ausgerottet war.
"Das scheue Tier galt damals als Gefahr für Weidetiere und damit der Lebensgrundlage vieler Menschen. Heute ist die Situation anders. Der Luchs gehört zur heimischen Wildbahn und Artenvielfalt", betont Dr. Berndt Ott, der Vorsitzende des Luchsvereins. Obwohl der Luchs im Vogelsberg in der Vergangenheit schon mehrmals gesichtet wurde beziehungsweise sichere Spuren registriert wurden, ist die Katze noch nicht im Vogelsberg heimisch geworden. Dabei bietet das kleine Mittelgebirge ein ideales Lebensumfeld für den Luchs. "Wir sind Luchserwartungsland", sagt Ott. Eine aktive Ansiedlung von in fremden Regionen eingefangenen Tieren lehnt der Verein ab. "Das kommt für uns nicht in Frage, da die Verzahnung mit anderen Luchsgebieten fehlt", so der Vorsitzende. "Wir setzen auf natürliche Zuwanderung."
Jüngst hatte eine Gruppe des Vereins zwecks Erfahrungsaustauschs eine Exkursion in den Pfälzerwald unternommen. Hier führt die Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz ein von der EU und weiteren Partnern mit insgesamt 2,57 Millionen Euro gefördertes Wiederansiedlungsprojekt durch. Ziel ist es, bis 2020 insgesamt 20 Luchse - zehn weibliche und zehn männliche - aus der Schweiz und den slowakischen Karpaten anzusiedeln.
Das Projekt ist länderübergreifend und schließt Waldgebiete in Frankreich ein. Der Pfälzerwald ist zusammen mit den Nordvogesen als ein etwa 3000 Quadratkilometer großes Biosphärenreservat ausgewiesen. Die jetzt angesiedelten Luchse können sich auf die Mittel- und Südvogesen, dem Schweizer Jura sowie dem Schwarzwald ausbreiten und sich mit dort lebenden Populationen austauschen.
Wie Annina Prüssing von der Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz der Vogelsberger Gruppe berichtete, wurden 2016 die ersten Luchse im Pfälzerwald freigelassen. Zuvor fanden umfangreiche Vorarbeiten statt, um Jäger, Ziegen- und Schafhalter, Dammwildhalter sowie Kommunen auf die neuen Bewohner des Lebensraums einzustimmen. Dazu gehörten auch telefonische Befragungen der Bevölkerung des Gebiets nach den "Gefühlen" in Zusammenhang mit dem Begriff "Luchs". "Die Reaktion war zu zwei Dritteln positiv", so die Referentin.
Ziel des umfangreichen Projekts sei es, durch die streng geschützten Tiere die Biodiversität zu erhöhen. "Der Luchs gehört zum Inventar eines natürlichen Lebensraums, er ist als Symboltier Repräsentant für intakte Lebensräume. Und schließlich ist die Wiederansiedlung auch eine Frage der Ethik", erläuterte Prüssing. Eine schnelle Ausbreitung sei nicht zu erwarten, eine Vernetzung mit Populationen in anderen Gebieten auf lange Sicht aber nötig um die Population nicht genetisch verarmen zu lassen.
"Überwacht" werden die Luchse mit satellitengestützen Sendern und 160 Wildkameras. Zur Transparenz des Projektes gehören eine aufwendige Öffentlichkeitsarbeit, ein Luchsmanagementplan und die rasche und unbürokratische Regulierung möglicher Schäden, die nicht ausgeschlossen werden könnten, so Prüssing. Dabei werden Entschädigungen gezahlt und Investitionen in Schutzmaßnahmen wie Zäune mit bis zu 90 Prozent der Kosten gefördert. Zudem gibt es ein Helfer-Netzwerk von Freiwilligen, die Schäfern zur Seite stehen und Hand bei Schutzmaßnahmen anlegen.
Luchse stellten für Wildkatzen im Übrigen keine direkte Bedrohung dar, da sie nicht im Beutespektrum des Luchses sind. Drei Luchse sind, so die Mitarbeiterin der Stiftung, bisher gestorben, infolge Kontakten mit Eisenbahn oder Auto beziehungsweise einer schweren Verletzung. Erfreulich sei die Nachwuchssituation mit mindestens sechs Würfen und mindestens zehn Jungtieren in den vergangenen drei Jahren." Das zeigt, dass die Luchse auf Dauer im Pfälzerwald überlebensfähig sind", freute sich die Referentin. Erstaunlich sei das Wanderverhalten. So habe ein männliches Tier in einem Monat 350 Kilometer bis in die Region Colmar zurückgelegt und dabei Autobahnen, Kanäle und Bahnlinien unbeschadet überwunden.
Hauptsächlich ernähre sich der Luchs von Rehwild, was etwa 80 Prozent seines Beutevolumens ausmache. Auch Rotwild und Füchse verschmähe er nicht. Sehr selten seien Übergriffe auf Nutztiere. So seien von 2016 bis März 2019 lediglich vier Ziegen, neun Schaflämmer und zwei Ziegenlämmer von Luchsen gerissen worden.
Dr. Ulf Hohmann von der Forstlichen Versuchsanstalt Rheinland-Pfalz berichtete, dass es sich beim Pfälzer Wald über ein großes geschlossenes Gebiet handele, das etwa dreimal so groß wie die Kernfläche des Vogelsbergs sei. "Selbst bei einer vier- bis fünfstündigen Fahrt berührt man keine offenen Flächen", so Hohmann.
Seine Versuchsanstalt befasste sich mit dem möglichen Einfluss der neuen Bewohner auf die Rehwildpopulation durch Kontrolle des Jagdverhaltens. Dabei sei man bestimmte, genau festgelegte Waldwege nachts unter dem Einsatz von Infrarotkameras zweimal im Jahr abgefahren und habe die Wildtiere in Reichweite der Kameras gezählt. Interessant waren die ersten Erkenntnisse, die Hohmann vorstellen konnte. So scheinen Luchse ältere weibliche Tiere (Ricken) zu bevorzugen. Zur Jagd benutzten Luchse gerne Waldwege. "Daher kann es möglich sein, dass Rehe in Abwesenheit des Luchses die Nähe von Wegen meiden." Endgültige Aussagen seien aber erst 2020 nach Auswertung der Daten möglich.
Es war eine gelungene erkenntnisreiche Fahrt für alle zehn Teilnehmer aus den Bereichen Waldbetreuung und Naturschutz" zog Vereinsvorsitzender Ott ein positives Fazit. Künftig seien weitere Mitgliederfahrten geplant, vorrangig in Gebiete, in denen der Luchs schon lebt. Obwohl eine Zuwanderung des Luchses in der nächsten Zukunft im Vogelsberg unwahrscheinlich sei, lohne sich die Arbeit des Vereins. "Viele Luchsansiedlungen scheiterten an der mangelnden Akzeptanz seitens der Bevölkerung. Dem wollen wir durch unsere Informationsarbeit entgegenwirken. In Rheinland-Pfalz betrug die Vorlaufzeit zehn Jahre bis zur Etablierung der Tiere. "Eine mögliche Zuwanderung von Luchsen in den Vogelsberg ist aus Thüringen oder über den Spessart am wahrscheinlichsten", so Ott abschließend. Weitere Hinweise im Internet unter www.vogelsbergluchs.de.