Angersbacher Hügelgrab aus der Jungsteinzeit - oder: Archäologie vs. Windkraft
"Natürlich blutet einem Archäologen in diesem Moment das Herz", erklärt Dr. Andreas Thiedmann. Er steht in diesem Moment vor einem Hügelgrab auf dem "Steinberg" in Angersbach.
Von Annika Rausch
In vier Quadranten arbeiten die Fachleute der "Wissenschaftliche Baugrundarchäologie Marburg" an der Freilegung des Hügelsgrabes auf dem "Steinberg" bei Angersbach. Fotos: Rausch
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ANGERSBACH - "Natürlich blutet einem Archäologen in diesem Moment das Herz", erklärt Dr. Andreas Thiedmann vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen in Marburg. Er steht in diesem Moment vor einem Hügelgrab, das schon seit mehreren Wochen von einem Archäologen-Team fachgerecht abgetragen und dokumentiert wird. "Denn hier soll ein 4 500 Jahre altes Kulturdenkmal einer gewerblichen Anlage weichen." In wenigen Wochen wird an genau dieser Stelle eine Windkraftanlage stehen. Eine von fünf auf dem "Steinberg" in der Gemarkung Angersbachs. "Unsere Einwendungen wurden vom Regierungspräsidium abgewogen und wegen des übergeordneten Interesses abgelehnt", erläutert Thiedmann weiter. Dabei könne es sich bei den Ausgrabungen "für Vogelsberger Verhältnisse um etwas Sensationelles" handeln.
Eine "kontrollierte wissenschaftliche Zerstörung" nennt Andreas Thiedmann die Freilegung des Hügelgrabes. "Das Windrad hält vielleicht 30 Jahre, das Grab war mehrere tausend Jahre hier." Etwas Frust ist dem Denkmalfachmann bei dieser Aussage durchaus anzusehen. Auch wenn bei einer Ausgrabung wie dieser interessante Funde zu Tage treten können, gehört es nämlich eigentlich zum Selbstverständnis seiner Arbeit, Dinge "zu bewahren, zu schützen und für zukünftige Generationen zu erhalten". Und das heißt, dass der Experte das Grab am liebsten unangetastet gelassen hätte.
Für die Ausgrabungen - finanziert von HessenEnergie, dem späteren Betreiber des Windparks - ist die "Wissenschaftliche Baugrundarchäologie Marburg" zuständig. Zu acht werkelt das Team auf dem "Steinberg". Und das auch schon zu Temperaturen, "bei denen der Boden einen halben Meter tief gefroren war", wie Ausgrabungsleiter Mirko Runzheimer berichtet. Alles andere als normale Bedingungen für solch ein Projekt, doch der Zeitdruck saß dem Energiekonzern im Nacken - und somit auch dem Archäologen-Team. Zusätzlich zu den Grabungen ist die Gruppe auch für die Beobachtungen der Rodungsarbeiten und Sicherungsmaßnahmen anderer Kulturdenkmäler vor Ort. "Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe", wie Prof. Dr. Claus Dobiat, Chef des Teams, erklärt.
Der Grabhügel, auf dem die WEA 1 - die Windenergieanlage 1 - entstehen soll, ist nicht der einzige in der Region. "Hügelgräber sind im Vogelsberg über 400 Meter Höhe nicht ungewöhnlich", klärt Andreas Thiedmann auf. Bis heute übrig geblieben sei allerdings nur ein Bruchteil; viele Steine wurden wieder abgetragen und für den Wegebau verwendet. "Wir wissen nicht genau, was hinter diesen Hügelgräbern steckt", verdeutlicht Andreas Thiedmann. "Wir kennen die Siedlungen dazu nicht. War der Vogelsberg vielleicht viel siedlungsfreundlicher? Die meisten Gräber stammen aus der Bronzezeit. Doch wo haben die Menschen gelebt? Waren sie Viehzüchter?" Sollten Archäologen einmal auf Reste einer Siedlung stoßen, könnten diese Fragen vielleicht beantwortet werden.
Was das Grab auf dem "Steinberg" zu etwas Besonderem macht, ist sein Alter. "Wir vermuten, dass es neolithisch ist, also aus der Jungsteinzeit", verrät Thiedmann. Im Gegensatz zur Bronzezeit bedeutet dies 1500 Jahre Unterschied. "1956 wurde bereits ein Grab hier in der Gegend freigelegt. Die Steinzeitbestattung, die dort gefunden wurde, war ein sensationelles Ergebnis." Daher elektrisieren die Ausgrabungen heute die ganze Gruppe erst recht, denn ein zweites Steinzeitgrab, sei immer noch ein sensationeller Fund.
Die Baustelle ist in vier Quadranten unterteilt. Zum einen, um die Fundstücke exakt lokalisieren zu können, und zum anderen, um den Querschnitt der Anlage zu verdeutlichen. Auch mit Laienaugen sind die unterschiedlichen Schichten des Grabes klar zu erkennen.
Jegliche Zweifel Außenstehender darüber, ob es sich tatsächlich an dieser Stelle um ein Hügelgrab handele, sind längst ausgeräumt. Jeder Handschlag und jedes Fundstück werden genau dokumentiert. Später wird alles rekapituliert - auch mit Hilfe eines 3-D-Modells -, untersucht und analysiert. Über 100 Fundstücke, fein sortiert in kleinen Plastikbeuteln, warten bereits auf die Expertenmeinung. "Die Keramiken stammen aus drei unterschiedlichen Zeiten", weiß Thiedmann schon jetzt. Eine Analyse der Lage der Stücke werde zeigen, ob auf der Anlage vielleicht nachbestattet wurde. Oder ob sich ganze Gefäße rekonstruieren lassen. "Die Menschen sind immer wieder hierher gekommen", stellt der Fachmann fest. Doch Anzeichen für eine Siedlungsaktivität seien bis dato noch nicht gefunden worden. Fest steht aber: "Dieser Fund ist für uns kein Alltagsgeschäft."
"Dieses wissenschaftlich hochkarätige Projekt befindet sich auf der Zielgeraden", blickt Thiedmann zum Schluss in die Zukunft. Obwohl noch nicht ganz klar ist, was sich im Inneren des Hügels befindet. Knochen seien, so der Experte, aufgrund des sandigen Bodens eher unwahrscheinlich, doch Grabbeigaben würden ebenfalls viel Aufschluss geben. Ausgrabungsleiter Mirko Runzheimer hat mehrere Zeichnungen im Gepäck, die zeigen, dass ein Steinaufbau oder vielleicht sogar ein Schacht unter dem Hügel verborgen sein könnten. Bereits entdeckte dunkle Spuren weisen schon mal auf einen Holzunterbau hin. "Das könnten Spuren der zentralen Grube sein", ergänzt Thiedmann.
Die Arbeiten am Angersbacher Hügelgrab versprechen also weiterhin spannend zu bleiben. Auch wenn die Zeit direkt vor Ort nur noch begrenzt ist. "Der Wald war für uns früher immer Schutzgarant", gewährt Andreas Thiedmann Einblick in seine sich wandelnde Arbeit für das Landesamt für Denkmalpflege. "Dies hat sich leider verflüchtigt." Zum einen durch die Energiewirtschaft und zum anderen durch die moderne Forstwirtschaft, die mit schwerem Gerät schon so manches Hügelgrab einfach überfahren habe. "Daher habe ich inzwischen viel mehr Hügelgräber ausgegraben, als ich das zu Anfang meines Berufes dachte", lacht er. Doch immer noch sei jeder Hügel anders, jeder wieder spannend. Und es gibt in der Gegend rund um Wartenberg noch viel mehr historische Kulturdenkmäler. Allein rund um die Windkraftanlagen gibt es zahlreiche, die das Amt versuche bestmöglich zu schützen. "Der historische Sattelstein zum Beispiel - eine Grenzmarke aus der karolingischen Zeit, gehört zu den ältesten überlieferten Grenzsteinen überhaupt. Er bleibt knapp unberührt." Auch der "Hexentanzplatz", eine volkstümliche Versammlungs- und Feststelle ganz in der Nähe, sollte zwar erhalten bleiben, wird aber durch die aufwendigen Terrassierungsarbeiten verändert werden. "Der ganze 'Steinberg' wird massiv umgestaltet", äußert Thiedmann seine Verwunderung darüber, wie in so eine Gegend so stark eingegriffen werden könne. "Der ganze Wald ist voll von Relikten, die zeigen, dass Menschen dieses Terrain schon seit langer Zeit aufgesucht haben. Es sind markante Landmarken, die im Bewusstsein der Leute noch Bedeutung haben."
Dass das Angersbacher Hügelgrab wenigstens noch im Bewusstsein der Menschen bleibt, wenn es schon nicht mehr vor Ort bestehen kann - dem widmen sich die Experten auf dem "Steinberg" voraussichtlich noch bis zum Ende des Monats. Irgendwann werden die Funde dann in einem Museum zu sehen sein.