Warum ein Wiesbadener Kunstsammler seiner Wahlheimat ein neues Museum schenkt.
WIESBADEN. An einem regnerischen Sonntag in einer fremden Stadt, irgendwo auf der Welt. Hier beginnt die Geschichte, die zu einem der spektakulärsten Museumsneubauten in Deutschland führen wird. Denn der Wiesbadener Unternehmer Reinhard Ernst nutzt diese freie Zeit zwischen Firmenterminen, um ein Museum zu besuchen. Mit der Zeit wird daraus eine Passion – eine gute Grundlage dafür, selbst Kunst zu sammeln.
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Heute zählt die Sammlung Ernst zu den herausragenden abstrakter Kunst: Über 700 Objekte umfasst seine Kollektion an exponierten Werken des amerikanischen abstrakten Expressionismus sowie europäischer und japanischer Kunst nach 1945. Von seiner Lieblingskünstlerin, der US-Amerikanerin Helen Frankenthaler – bekannt für ihre großformatigen, farbgetränkten Leinwände –, besitzt er mehr als 30 Werke und ist damit auch international ein gefragter Leihgeber.
Die Sammlung mit der Öffentlichkeit teilen
Aber der heute 75-Jährige will es nicht dabei belassen. Seine Idee: diese Sammlung mit der Öffentlichkeit teilen, weltweit bekannte Kunst an einem festen Ort zugänglich machen. Und dieser Traum geht jetzt in Erfüllung: Gemeinsam mit seiner Frau Sonja Ernst hat er eine Stiftung gegründet, die an der Wilhelmstraße, in Nachbarschaft zum Landesmuseum, auf eigene Kosten ein Museum für seine Sammlung baut. Seine beiden Limburger Firmen für Antriebssysteme hat er verkauft, auch, um das zu finanzieren. Die Stiftung trägt sowohl die auf rund 60 Millionen Euro geschätzten Baukosten als auch die Unterhaltung des Hauses. Die Eröffnung des Baus mit 8000 Quadratmetern Nutzfläche inklusive 2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche ist für September 2022 geplant.
Der Stadt Limburg hatte Ernst früher schon einmal den Bau dieses Museums dort vorgeschlagen, fand aber dafür keine Mehrheit im Stadtrat. In Wiesbaden war etwa zeitgleich an der markanten Adresse Wilhelmstraße 1 der Bau eines Stadtmuseums nach einem Entwurf von Helmut Jahn vorgesehen. Durch unglückliches Handling der damaligen Kulturdezernentin und ihrer Mitstreiter scheiterte das an öffentlicher Kritik.
Reinhard Ernst dagegen konnte hier nicht nur das Stadtparlament überzeugen: Der Bau dieses auch in seiner Entstehungsgeschichte so besonderen Museums ist das Ergebnis eines Bürgerbeteiligungsverfahrens. Das Votum war eindeutig: das Geschenk des Sammlers anzunehmen.
Renommierten Architekten aus Japan gewonnen
Im Januar 2019 wurde der Bauantrag gestellt, um bald mit dem Bau zu starten, „mit heimischen Handwerkern“ – das war Ernst von Anfang an wichtig. Beim Bau des Kunsthauses setzt er seine Passion fort: „Es wird kein Museum geben, das diese Qualität hat“, ist er sich sicher. Zum einen, weil er sich selbst immer wieder über den Fortgang der Bauarbeiten informiert und auf Ballhöhe ist. Zum anderen, weil er einen renommierten Architekten dafür gewinnen konnte: Das Museum entsteht nach Plänen des Japaners Fumihiko Maki, der international unter anderem rund 30 Museen entworfen hat, darunter das Aga Khan Museum in kanadischen Toronto.
Mit ihm ist Reinhard Ernst seit Jahrzehnten befreundet. Von daher war von Beginn an klar, dass er auch in Wiesbaden verantwortlich zeichnet: „Wiesbaden ist das kleinste, was er bisher gebaut hat. Er hat gesehen, wie viele helle Villen im Umfeld der Wilhelmstraße stehen – das nimmt er hier auf.“ Zweimal die Woche telefoniert er mit dem über 90-jährigen, in Japan lebenden Architekten für ein Update. Dessen „rechte Hand“ Michel van Ackere aus Makis Architekturbüro in Tokyo ist engmaschig mit den Arbeiten betraut. Ausführende Architekten vor Ort sind Schneider + Schumacher aus Frankfurt, die auch den unterirdischen Erweiterungsbau des Städels entwickelt haben.
Fassade mit hellem Stein
Der Rohbau des Baus soll jetzt bald fertig sein. Dann kommen Heizung, Lüftung, Klima. Zeitgleich werden auch die Fassade und die Fenster in Angriff genommen. Für die Fassade hat sich Ernst für einen hellen Stein mit kleinen dunklen Einschlüssen aus den USA entschieden – derselbe Granit, der das Khan Museum in Toronto bekleidet. Die Granitfassade wird Ende 2021 oder Anfang 2022 angegangen. Der Stein ist schon da. Und auch bei den Böden im Museum setzt Ernst auf höchste Qualität: Ins Erdgeschoss, das öffentlich ist – „hier kann jeder rein, ins Restaurant oder in den Shop“ – kommt ein Granitstein.
Chillida-Werk in verglastem Atrium
Und auch für zwei Werkgruppen, die Ernst eigens für das neue Museum gekauft hat, gibt es schon feste Standorte: Das eine sind zwei große Bronzeskulpturen von Tony Cragg. Die beiden Werke, 6,50 und 6,20 Meter hoch, stehen nebeneinander. Sie kommen in eine Ecke des ersten Obergeschosses und ragen bis ins zweite Obergeschoss: „Da kann man sie auch noch sehen.“ Die zweite Skulptur ist in einem nach oben offenen Innenhof geplant. In diesem verglasten Atrium wird eine von Reinhard Ernst gerade eben erst angekaufte Skulptur von Eduardo Chillida platziert, dem großen Künstler aus der Wiesbadener Partnerstadt San Sebastián.
Ein Museum also wie aus einem Guss. Es wird Wiesbaden verändern und es wird Wiesbaden gut tun. Und den Besuchern – nicht nur an verregneten Sonntagen.