Auch Apotheken sind von der Sparpolitik des Bundes betroffen. Derweil üben Ärzte Kritik an pharmazeutischen Dienstleistungen, die Apotheken seit dem Sommer anbieten können.
Bad Schwalbach / Wiesbaden / Mainz. In der Victoria-Apotheke in Bad Schwalbach ist viel los an diesem Mittwochvormittag im November. An einem Schalter reicht eine Kundin ein Rezept ein, während nebenan eine Mitarbeiterin einem jungen Mann erklärt, wie oft er das Medikament einnehmen soll, das er bekommen hat. Solche Beratungen in der Apotheke kennt jeder. „Wenn das Blutzuckermessgerät nicht funktioniert, helfen wir genauso, wie wenn der Kunde nicht weiß, wie er sein Asthmaspray anwenden soll. Der Patient muss ja zurechtkommen“, erläutert Apotheken-Inhaberin Petra Häusler.
Bisher haben Apotheken für diesen Service kein Honorar von der Krankenkasse erhalten. Seit Juni jedoch können sie sogenannte pharmazeutische Dienstleistungen anbieten, die auch honoriert werden. Apothekerin Petra Häusler nennt ein Beispiel: Bei der erweiterten Medikationsberatung bei Polymedikation werden die Arzneimittel, die ein Patient erhält, auf Wechselwirkungen geprüft. „Teilweise nehmen die Patienten bis zu zehn verschiedene Medikamente ein, die oft von unterschiedlichen Ärzten verordnet werden. Und nicht immer kennt der Arzt in vollem Umfang die Wechselwirkungen der Medikamente. Er ist der Spezialist für die Krankheiten und auch zuständig für die Verschreibung der Arzneimittel, aber für die Chemie sind wir die Spezialisten. Zudem teilen die Patienten ihrem Urologen, Neurologen oder Hausarzt oft auch nicht mit, was sie sonst noch alles einnehmen“, sagt Häusler.
Für eine solche ausführliche Analyse mit schriftlichem Bericht zu Arznei-Wechselwirkungen bekommen Apotheker 90 Euro von der Krankenkasse. Wenn sie den Patienten schulen, wie man ein Inhalationsgerät benutzt, gibt es 20 Euro Honorar. Insgesamt können Apotheken bundesweit jährlich pharmazeutische Dienstleistungen in Höhe von 150 Millionen Euro mit der Krankenkasse abrechnen.
Ärzte befürchten Beratungspannen
Und das stößt auf Kritik – vor allem bei Ärzten. Diese fürchten, dass sich die Versorgungsqualität mit den pharmazeutischen Dienstleistungen verschlechtern wird. Und dass teure Doppelstrukturen geschaffen werden, die alle aus dem Topf der Krankenkassen gezahlt werden. „Wenn man aber keine Ahnung von den Erkrankungen der Patienten hat, dann kann man die Arzneimitteltherapie schon mal gar nicht beurteilen“, wird Frank Dastych, Arzt und Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, vom „Deutschlandfunk“ zitiert. „Was macht der Apotheker, wenn der chronisch Kranke Herzbeschwerden hat, wenn ihm schwindelig ist oder wenn er Atemnot hat? Wie will er das abklären?“, äußerte sich der Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg kritisch.
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„Das wollen wir gar nicht abklären“, entgegnet Apothekerin Häusler im Gespräch mit dieser Zeitung. „Wir wollen die Wechselwirkungen abklären, und wenn ein Patient Herzbeschwerden hat, dann schicken wir ihn zum Arzt.“ Die Apothekerin aus Bad Schwalbach (Rheingau-Taunus-Kreis) erzählt, dass sehr viele Patienten mit schlimmen Beschwerden in ihre Apotheke kommen und zum Beispiel etwas gegen Herzrhythmusbeschwerden haben wollen. „Doch da können wir nichts machen, die schicken wir zum Arzt. Das ist auch unsere Verantwortung.“ Dass Apotheken oftmals erste Anlaufstelle sind, liegt auch daran, dass die Kunden beim Arzt kurzfristig keinen Termin bekommen haben.
Angebot der Apotheken als Ergänzung
Petra Häusler findet es deshalb sehr schade, dass die Ärzte das Angebot der Apotheken nicht als Ergänzung oder als Möglichkeit der Zusammenarbeit sehen. „Wir wollen weder den Ärzten den Job wegnehmen, noch möchten wir, dass sie uns den Job abnehmen.“ Auch wenn in der Victoria-Apotheke die pharmazeutischen Dienstleistungen noch gar nicht angeboten werden, findet Häusler diese sinnvoll. Wenn sie vernünftig angewendet werden, könne den Patienten Leid, den Krankenkassen Geld und den Ärzten viel Arbeit erspart werden – zum Beispiel bei der Suche nach Ursachen, die durch Medikamentenwechselwirkung entstehen. Zumal Ärzte oft gar nicht die Zeit dafür hätten.
Doch auch Häusler kann die Leistungen nur anbieten, wenn sie genügend Zeit und Mitarbeiter hat. Denn viele Apotheken leiden unter Personalmangel. Seit 2003 hat sich die Vergütung nur um wenige Prozentpunkte verbessert, während die pharmazeutische Industrie mit besseren Gehältern und angenehmeren Arbeitszeiten lockt. Das führt dazu, dass auch Apotheken nur schwer neue Mitarbeiter finden. Gleichzeitig belasten die hohe Inflation und massiv steigende Kosten für Miete, Heizung und Strom auch die Apotheken. Und: Auch Apotheker sollen künftig ihren Beitrag dazu leisten, das 17-Milliarden-Defizit der Krankenkassen zu schließen – durch eine Erhöhung des Abschlags an die gesetzlichen Krankenversicherungen. So sollen künftig zwei statt wie bisher 1,77 Euro „Kassenrabatt“ pro verschreibungspflichtigem Medikament an die Krankenkassen gezahlt werden. Laut Ursula Funke, Präsidentin der Landesapothekerkammer (LAK) Hessen, belastet das die deutschen Apotheken mit insgesamt 120 Millionen Euro pro Jahr – umgerechnet mit im Schnitt 6500 Euro pro Apotheke. Für die Apotheken gebe es keinerlei Möglichkeiten, diese Kosten zu verringern.
„Dies wird in zahlreichen Fällen der sprichwörtlich ,letzte Sargnagel‘ für Apothekenbetriebe sein“, äußern sich Peter Stahl, Präsident der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz und Andreas Hott, Erster Vorsitzender des Apothekerverbandes Rheinland-Pfalz, in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Sparpläne befeuern Apothekensterben
Durch die Pläne des Bundes sei die flächendeckende Versorgung durch die Apotheken vor Ort in existenzieller Gefahr, sagt LAK-Präsidentin Funke aus Hessen. Bereits in den vergangenen Jahren sei die Zahl der Apothekenschließungen deutlich gestiegen, da entweder der wirtschaftliche Druck durch die gestiegenen Kosten zu hoch war oder weil kein Personal gefunden werden konnte. Ein weiterer Rückgang an Apotheken würde für die Bevölkerung noch weitere Wege bedeuten – vor allem im ländlichen Raum und insbesondere beim Nacht- und Notdienst.
Dabei hätten die Apotheken vor Ort in den Pandemiezeiten eindrücklich gezeigt, wie wichtig sie für die Versorgung der Bevölkerung sind, sagen Stahl und Hott. Zahlreiche zusätzliche Aufgaben seien gemeistert worden, oftmals unter erheblichem Aufwand.
Die Politik müsse dringend gegensteuern, umso mehr, weil die Apotheken nur noch 1,9 Prozent der Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) ausmachen, weniger als die Hälfte der dortigen Verwaltungsausgaben. Diese liegen derzeit bei 4,5 Prozent.
In Brandenburg, Schleswig-Holstein, Hamburg und dem Saarland haben im Oktober bereits die ersten Apotheken gegen die Sparpläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) protestiert. Die hiesigen Kammern und Verbände haben die Aktionen begrüßt.