Mit welchen Arbeitskonzepten sich regionale Unternehmen auf die Zeit nach der Pandemie vorbereiten
FRANKFURT. Die Corona-Krise hat die Arbeitswelt umgekrempelt. Plötzlich arbeiteten ganze Bürobelegschaften vom heimischen Schreibtisch aus. Mit den niedrigen Infektionszahlen holen die ersten Unternehmen aber jetzt Mitarbeiter wieder zurück ins Büro. Was bleibt von den mobilen Arbeitsmodellen nach der Pandemie?
Die Versicherung der genossenschaftlichen Finanzgruppe, R+V, will in einem „New-Normal“-Konzept für den Innendienst „das Beste aus zwei Welten“ vereinen. Das Unternehmen gibt dabei je nach Team Mindestpräsenzzeiten im Büro vor, die notwendig sind, um die Aufgaben zu erledigen. „Die Mitarbeiter können dann individuell Bürozeit draufsatteln“, erläutert R+V-Sprecherin Mae von Lapp. Office (mindestens 80 Prozent Büro), Balance (40-60 Prozent) und Home (bis 20 Prozent) sind die möglichen Varianten für die mehr als 6000 Beschäftigten in Wiesbaden. „Das Konzept beruht auf dem Grundsatz, dass es keine einheitliche Lösung für alle Teams gibt“, betont von Lapp. Zum Einstieg startet der gesamte Innendienst im Oktober mit der Variante Balance. Erst Anfang 2022 kommen die weiteren Anwesenheitsmodelle hinzu.
Damit verändern sich auch die Konzepte für die Arbeitsplätze. „Das Büro der Zukunft wird ein Raum für persönliche Treffen, indem der Austausch vor Ort dazu beitragt, kreative Ideen zu entwickeln und soziale Beziehungen zu stärken“, heißt es bei der Software AG in Darmstadt. Erst die Digitalisierung und Vernetzung ermöglichten die Flexibilität der hybriden Arbeitswelt mit einem nahtlosen Informationsaustausch zwischen Homeoffice und Büro. „Homeoffice, mobiles und Arbeiten im Büro werden sich in Zukunft ergänzen.“
Auch die Deutsche Bank hat sich für ein hybrides Arbeitsmodell entschieden. „Dieses neue Arbeitsmodell wird mehr flexibles Arbeiten ermöglichen und gleichzeitig die Bedeutung des Büros als Ort der Zusammenarbeit und des persönlichen Austauschs erhalten“, erläutert ein Firmensprecher in Frankfurt. Entsprechende Gespräche mit den Betriebsräten laufen. Bei der DZ Bank in Frankfurt wird damit gerechnet, dass die Mitarbeiter im Schnitt zwei bis drei Tage mobil arbeiten werden. „Der Trend zum mobilen Arbeiten bedeutet auch, dass wir Einsparpotenzial bei unseren Immobilienkosten sehen“, sagte DZ Bank Personalvorstand Thomas Ullrich der Agentur Bloomberg.
Die Institution Büro wird überleben
Doch den Bürostandorten droht deshalb nicht automatisch flächendeckender Leerstand. „Es wirkt nur auf den ersten Blick antizyklisch, aber wir wissen, dass Menschen am besten zusammenarbeiten, wenn sie Auge in Auge miteinander reden“, begründet der Gesellschafter des IT-Spezialisten Seibert Media, Paul Herwarth von Bittenfeld, den Schritt während der Pandemie eine neue 1800 Quadratmeter große Zentrale mitten in der Wiesbadener Innenstadt einzurichten. Das physische Büro werde neben der Arbeit daheim einen festen Platz behalten. „Nicht zuletzt für den Zusammenhalt und die Identifikation ist das unheimlich wichtig.“ Auch der Makler Jones Lang LaSalle (JLL) meldete im ersten Halbjahr 2021 bereits eine Erholung des Bürovermietungsmarkts in Frankfurt. Der Flächenumsatz lag zwar noch 25 Prozent niedriger als im Fünfjahresvergleich, aber immerhin um 48 Prozent über dem Vorjahr.
„Mit der steigenden Impfquote kehren Beschäftigte in die Präsenzarbeit zurück“, bilanziert Jean-Victor Alipour vom Ifo Institut. Etwa 28,4 Prozent der Beschäftigten arbeiteten im Juni nach einer Ifo-Umfrage im Homeoffice. Beim Mainzer Technologiekonzern Schott arbeiten beispielsweise etwa 1800 Beschäftigte in der Produktion. Von den 1000 Verwaltungsmitarbeitenden sind bis zu 85 Prozent im Homeoffice.
„Klar ist: Ein Zurück zum Status quo vor der Pandemie wird es nicht geben“, betont Michael Rudolph, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Hessen-Thüringen. Hybride Arbeitsmodelle entsprechen nach seiner Einschätzung weitestgehend den Interessen vieler Beschäftigten, die so Beruf, Familie oder Pflege besser miteinander vereinbaren könnten. Zudem falle der oft zeitraubende Arbeitsweg weg. Auf der anderen Seite komme es darauf an, Regeln festzulegen, die der Entgrenzung der Arbeitswelt einen Riegel vorschieben. Aus einer Vielzahl von Befragungen seien die Probleme bekannt: Das Arbeitszeitgesetz werde oft nicht eingehalten, die psychischen Belastungen nähmen zu. Der fehlende Kontakt zu Kollegen und der empfundene Druck ständiger Erreichbarkeit berge Risiken.
Die „New-Work“-Konzepte sind grundsätzlicher angelegt. Es geht um die Vereinbarkeit von Arbeit mit individuellen Interessen, Bedürfnissen und Werten des Beschäftigten. „New Work ermöglicht die effiziente Zusammenarbeit der Mitarbeiter, sie schafft mehr Zeit, mehr Flexibilität und mehr Freiraum“, heißt es bei der IT-Beratung Lufthansa Industry Solutions.
Die Beschäftigten bevorzugen offenbar hybride Modelle. Nach Umfragen des Instituts YouGov fordern zwei Drittel eine Option auf Homeoffice. Und nach einer repräsentativen Befragung der Krankenkasse DAK von 1000 Beschäftigten in Hessen können sich 58 Prozent vorstellen, die Hälfte der Zeit mobil zu arbeiten. „Das Homeoffice fing für viele als Notlösung an und ist nun fester Teil der neuen Arbeitswelt“, berichtet Sötkin Geitner von der DAK Hessen. Genervt sind die Mitarbeiter der YouGov-Umfrage zufolge allerdings von den ständigen Videokonferenzen, die nach dem Ende der Pandemie nur noch jeder Dritte regelmäßig nutzen will.
Ein zentrales Thema ist die Datensicherheit im Homeoffice. „Viele, auch große Firmen, mussten erst lernen, damit umzugehen, dass es nun Einfallstore von außen in sensible Bereiche gab“, sieht Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender des Wiesbadener IT-Sicherheitsspezialisten Comforte, Michael Rossbach, noch viel Arbeit auf die Unternehmen zukommen. „Nur wenn alle Faktoren passen – die Motivation der Mitarbeiter, die Datensicherheit, die technische Infrastruktur und auch die Bereitschaft, bei Bedarf sich vor Ort einzubringen – , dann halte ich das Homeoffice für einen Gewinn für Unternehmen und Arbeitnehmer.“