Warum Großbritannien den Bau von modularen Reaktoren favorisiert und das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung das Konzept für keine gute Idee hält.
BERLIN. Es werden Laufzeiten verlängert, es wird ausgebaut, es wird investiert. Frankreich, Großbritannien, USA und China setzen mit den Argumenten saubere Energie und Unabhängigkeit der Energieversorgung unverdrossen auf Atomkraft. Die Investitionen und der laufende Betrieb werden mit staatlichen Geldern gestemmt. Denn die Kosten sind hoch. Der französische Energiekonzern EDF hat wegen möglicher Korrosionsschäden zwölf seiner 56 Atomkraftwerke vom Netz genommen. Insgesamt sind derzeit 29 Werke außer Betrieb. Wegen der Hitzewelle muss aufgrund der Kühlprobleme die Leistung weiterer AKW reduziert werden. EDF soll nach dem Willen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron trotzdem prüfen, ob die Laufzeiten auf 50 Jahre verlängert werden können. Mehrere AKW sollen zudem neu gebaut werden.
Auch der britische Premierminister Boris Johnson will acht neue Atomkraftwerke bauen, denn von sechs britischen Werken gehen fünf innerhalb des nächsten Jahrzehnts vom Netz. Wann die Ersatzwerke ans Netz gehen, ist aber ungewiss. Der bereits in Bau befindliche Reaktor Hinkley Point C wird frühestens 2025 in Betrieb gehen, ein Jahrzehnt später als geplant. Die Kosten haben sich mit umgerechnet 29,5 Milliarden Euro zudem vervielfacht.
"Atomkraft ist so teuer, dass es nur durch staatliche Subventionen betrieben werden kann", betonte der Klimaforscher Mojib Latif im Deutschlandfunk. Es gebe keine Versicherung, die für Atomkraft-Schäden einsteht. "Es gibt Pläne für den Ausbau, aber ich bin gespannt, ob die realisiert werden, weil die Kosten so extrem hoch sind." Atomkraft sei die teuerste Art der Energieerzeugung.
Großbritannien favorisiert deshalb kleine und günstiger zu betreibende modulare Reaktoren, die schon seit Jahren entwickelt werden. Bisher gibt es Konzeptstudien und Prototypen. Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung hat 2021 ein Gutachten veröffentlicht, welches vom Öko-Institut Freiburg, der TU Berlin und dem Physikerbüro Bremen erstellt wurde. "Keine der diskutierten Technologien ist derzeit am Markt verfügbar. Es ist auch nicht absehbar, ob sie es künftig sein werden", bilanzierte der Präsident des Bundesamts, Wolfram König.
Die Begeisterung hält sich auch ansonsten in Grenzen. Um weltweit dieselbe elektrische Leistung zu erzeugen, wie mit den heutigen leistungsfähigen Reaktoren müssten viele Tausend modulare Reaktoren gebaut werden. Da je Mini-Reaktor weniger radioaktives Material eingesetzt werde, gebe es im Einzelfall sicherheitstechnische Vorteile. Allerdings werde das Risiko aufgrund der notwendig hohen Anzahl von Mini-Reaktoren gleichzeitig um ein Vielfaches erhöht. Im Fall eines Unfalls würden Kontaminationen nicht auf das Anlagengelände beschränkt werden. Bezogen auf die Leistung seien die Baukosten relativ höher als bei Atomkraftwerken. Für eine Serienproduktion sei eine Stückzahl von etwa 3000 Mini-Reaktoren notwendig. Gleichzeitig werde in Summe für die gleiche Leistung mehr radioaktives Material benötigt. "Fragen zu Sicherheit, Transport, Rückbau sowie zur Zwischen- und Endlagerung sind bislang ungeklärt." Klimaforscher Latif ist ebenfalls skeptisch: "Da die sichere Entsorgung des Atommülls nicht gelöst ist, ist Atomkraft das Gegenteil von nachhaltig." In Japan werde Kühlwasser, welches beim Fukushima-Unfall verstrahlt wurde, ins Meer gekippt. Denn es gebe keine Entsorgungsstrategie. Auch in Deutschland werde noch nach einem Endlager gesucht.
Die Menschen erwarten, dass wegen des Klimaschutzes, der Abhängigkeit von Putin und der Inflation alle Möglichkeiten erwogen werden.