Die Zahlen zu Infektionen mit dem HIV-Virus sind weltweit rückläufig. Auch macht die Prävention Fortschritte. Doch diese Sicherheit ist trügerisch. In Osteuropa gibt es ein...
. „Aids“ gehörte zu den Begriffen, die das Leben der 80er Jahre geprägt haben. Nicht nur, dass seitdem weltweit 35 Millionen Menschen in Folge der Erkrankung des Immunsystems gestorben sind, wie die Weltgesundheitsorganisation WHO angibt. Aids hat dazu beigetragen, dass sich der Lebensstil verändert hat: Waren die 70er Jahre sexuell freizügiger und Lebensentwürfe liberaler, setzte in den 80er Jahren eine konservative Gegenbewegung ein, die sich noch heute auswirkt.
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Es gab eine Hysterie um Aids. Verstärkt dadurch, dass nicht sicher war, ob die Krankheit je heilbar sein würde. Aus Reihen der CSU kam der ernst gemeinte Vorschlag, mit dem HIV-Virus Infizierte in Quarantäne wegsperren zu wollen. Es war die damalige Gesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU), die sich dagegen stemmte. Sie war es auch, die für die notwendige Aufklärungs-Arbeit sorgte.
Das war nicht selbstverständlich: Der Kondom-Hersteller „London“ warb in der Saison 87/88 auf der Brust des Fußball-Bundesligisten FC Homburg. Das fand der Verband DFB anzüglich. Die Homburger mussten mit einem schwarzen Balken über dem Schriftzug „London“ auflaufen.
Die Probleme heute liegen anders: „Wir haben alle Mittel, die HIV-Epidemie dauerhaft in den Griff zu bekommen und Aids zu beenden“, sagt Sven Warminsky vom Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe. Aber zu viele Menschen seien von Prävention und Behandlung ausgeschlossen: „Viele Menschen infizieren sich, erkranken und sterben, weil die Verantwortlichen zu wenig tun.“ Vor allem Osteuropa und Zentralasien würden so eine Rückkehr der Immunschwäche-Krankheit erleben. Dort gibt es laut Warminsky politische Blockaden, es fehle an Prävention: „Gerade, wo HIV am stärksten wütet, wird die Finanzierung kompetenter Organisationen zurückgefahren und sie werden in ihrer Arbeit behindert.“
Auch fehle es an Geld. Alleine die UNAIDS, eine Organisation der UNO, sei für dieses Jahr mit 58 Millionen Dollar zu schlecht ausgestattet. Von der Bundesregierung fordert Warminsky daher, sich finanziell stärker zu engagieren.
Laut UNAIDS sind weltweit 37 Millionen Menschen mit dem HIV-Virus infiziert. Die meisten davon lebten in Afrika. Jährlich gebe es weltweit 1,8 Millionen Neuinfektionen. Dabei hatten sich die Vereinten Nationen das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 die Zahl der Neuerkrankungen auf unter 500 000 zu bringen. Zehn Jahre später soll die globale Epidemie dann komplett beendet sein – ein Ziel, das auf der Welt-Aids-Konferenz in Amsterdam jüngst von den Experten als unrealistisch bezeichnet wurde.
Die deutschen Zahlen sind weit weniger dramatisch: Laut Aids-Hilfe leben hierzulande 90 000 Menschen mit dem Virus. Jährlich stecken sich 3100 Menschen an.
Dahinter steckt eine Gefahr: Die Menschen nehmen Aids nicht mehr ernst. Die DAK-Gesundheit lässt ihre Versicherten jährlich von Forsa befragen. Danach sorgten sich im vergangenen Jahr nur 9 Prozent, sie könnten sich mit dem HIV-Virus infizieren. Im Jahr 2010 waren es noch 14 Prozent gewesen. Bei den 14- bis 29-Jährigen sind es aktuell 21 Prozent, die sich vor Aids fürchten.
Zum Vergleich: Vor einer Erkrankung an Krebs fürchten sich laut Forsa 65 Prozent aller Befragten. Bei Schlaganfall sind es 40 Prozent, bei Alzheimer und Demenz 39 Prozent der Befragten.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will, dass die Krankenkassen die Gesundheitsvorsorge übernehmen: Gefährdeten Versicherten soll die sogenannte Präexpositionsprophylaxe finanziert werden. Das sind Tabletten. Laut Aids-Hilfe kosten 28 Stück rund 50 Euro. Sie werden in einem bestimmten Schema eingenommen. Das ist vor oder nach dem Sex möglich. Nach Zahlen des Gesundheitsministeriums kämen rund 10 000 Betroffene für diese Art der Vorsorge in Frage.
Die Kassen wehren sich gegen diesen Vorschlag. Ihr Dachverband teilte mit, zur Senkung des Infektionsrisikos seien vor allem Kondome verfügbar: „Die Finanzierung von Arzneimitteln, die dazu dienen, die Ausübung sexueller Aktivitäten zu ermöglichen, obliege in der Arzneimittelversorgung der Eigenverantwortung der Versicherung“, sagt Verbandssprecher Florian Lanz.
Spahn will aber auch andere Formen der Prävention stärken. Vor allem die Aufklärungsarbeit müsse wieder aufgenommen werden. Zwar entwickelten sich die Zahlen in die richtige Richtung: „Wir wollen aber die Zahl der Neuansteckungen noch weiter senken“, sagt Spahn.
Würde die Prophylaxe von den Kassen finanziert, würde das Lücken in der Vorsorge schließen, teilt die Deutsche Aids-Hilfe mit. Ohne sie würden vermeidbare Übertragungen passieren. Prophylaxe in Kombination mit durch Kondome geschützten Sex würde das Risiko von Übertragungen weitgehend ausschließen.
Firmen wie IBM, SAP und Daimler haben eine Deklaration unterzeichnet. Unter dem Titel „Respekt und Selbstverständlichkeit. Für einen diskriminierungsfreien Umgang mit HIV-positiven Menschen“ wirbt diese für Toleranz in der Gesellschaft.
Von Mario Thurnes