Eurovision Song Contest 2023: Wer gewinnt die Trophäe?

Ganz und gar nicht unpolitisch: Let 3 aus Kroatien sorgen mit ihrem Song „Mama ŠČ“ beim 67. Eurovision Song Contest für Furore.
© Vesa Moilanen/Lehtikuva/dpa

Die Buchmacher sagen: Loreen gewinnt den Eurovision Song Contest 2023 für Schweden. Wirklich? Wir stellen alle 26 Finalbeiträge im ESC-Schnelldurchlauf vor.

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Liverpool. Einhörner, Glitter und Traktoren - der Eurovision Song Contest beweist wieder einmal, dass es nichts gibt, über das man nicht singen könnte. Wir haben uns die 26 Teilnehmer des großen Finales, das an diesem Samstag um 21 Uhr in Liverpool beginnt, schon einmal angeschaut und geben unsere natürlich ganz persönliche Meinung ab, welchen Auftritt man unbedingt gesehen haben muss – und bei welchem man getrost neue Getränke aus dem Kühlschrank holen kann.

1. Österreich: Teya & Salena - „Who the Hell is Edgar”

Was für ein Auftakt für das ESC-Finale 2023! Das österreichische Duo Teya und Salena präsentiert eine mitreißende Nummer, in der es irgendwie um Edgar Allan Poe, Shakespeare und die Ausbeutung von Songschreibern geht. Das schwarzrote Outfit der unzähligen Tänzerinnen auf der Leinwand erinnert an die Band Kraftwerk und ihre Menschmaschine. Apropos erinnern, apropos Maschine: Die seltsame Kiste, liebe Kinder, die am Anfang von „Who the Hell is Edgar“ zu sehen ist, ist eine Schreib-ma-schi-ne. Das ist eine Art Tastatur ohne angeschlossenen Computer. Dafür war der Drucker gleich eingebaut. Hat man früher benutzt.  

2. Portugal: Mimicat - „Ai Coração”

Auf die Signalfarbe Rot setzt auch Mimicat, eine portugiesische Marilyn Monroe. Sie singt stimmgewaltig von Pulsrasen, Druck auf der Brust und Schlaflosigkeit. Ferndiagnose: Herzschmerz. Folgerichtig heißt der Song „Ai Coração” (Oh, Herz) – was ja die meistverwendete Vokabel in Liedern von der iberischen Halbinsel ist.

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3. Schweiz: Remo Forrer - „Watergun”

Remo Forrer singt für die Schweiz ein Antikriegslied der „Generation Ich“. Er wünscht sich nicht etwa den Weltfrieden, sondern stellt nur fest, dass er kein Soldat sein möchte. Stimmlich ist das durchaus überzeugend – aber der Ausdruckstanz im Hintergrund lenkt doch arg ab.

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4. Polen: Blanka - „Solo”

Faustregel beim ESC: Hüte Dich vor Songs, die mit „Baby“ beginnen. Die Gute-Laune- Karibik-Feeling-Inszenierung, wie man sie schon dutzendfach beim ESC gesehen hat, steht im Kontrast zum Liedinhalt von „Solo“. Darin stellt die Interpretin fest, dass sie ohne ihren Partner besser dran wäre. 

5. Serbien: Luke Black - „Samo mi se spava”

Wie ein gefallener Engel liegt Luke Black zu Beginn von „Samo Mi Se Spava“ in einer Art weißen Muschel, um dann in einer, nun ja, exzentrischen Inszenierung davor zu warnen, dass das Böse in der Welt die Überhand gewinnt. In Erinnerung bleiben die Tänzer mit ihren seltsamen „Ghostbusters“-Rucksäcken.

6. Frankreich: La Zarra - „Évidemment”

Der Titel für das gewaltigste Kleid des Abends geht an La Zarra, die für Frankreich startet. Die 25-jährige, die in Kanada geboren wurde, ist von der Mode alter Filme beeindruckt, was auf der Bühne durchaus sichtbar ist. Der Titel „Évidemment“, ein modernes (und tanzbares!) Chanson, könnte es ziemlich weit nach vorne bringen. An das grandiose „Voila“ von Barbara Pravi (2021) reicht „Évidemment“ aber nicht heran.

7. Zypern: Andrew Lambrou - „Break A Broken Heart”

Wasser, Feuer, Pyro: Zypern zieht beim ESC 2023 alle Register. Mit der Bildgewalt auf Bühne und Leinwand kann Andrew Lambrous durchschnittlicher Song mit der erstaunlichen Erkenntnis, dass man ein gebrochenes Herz nicht brechen kann („Break A Broken Heart“) nicht mithalten.

8. Spanien: Blanca Paloma - „Eaea”

Blanca Paloma – nicht zu verwechseln mit der polnischen Teilnehmerin Blanca (und schon gar nicht mit dem geschmacksverirrten 70er-Jahre-Schlager „La Paloma Blanca“) – bringt andalusische Klänge auf die Bühne. Das klingt außergewöhnlich und hallt im Kopf lange nach. Ob aber kleine Kinder bei diesem Flamenco-Wiegenlied tatsächlich einschlafen, sei dahingestellt.

9. Schweden: Loreen - „Tattoo”

Kleiner Depri-Fact für alle, die den Schokoriegel Twix noch als Raider kennen und sich trotzdem noch für recht jung halten: Die für Schweden startende Loreen ist mit 39 Jahren die älteste Teilnehmerin beim Wettbewerb. Die Älteste! Mit!39!Jahren! Lorine Zineb Nora Talhaoui, Tochter berberisch-marokkanischer Eltern, war 2012 schon einmal beim ESC dabei und gewann mit „Euphoria“. Die Chancen stehen gut, sehr, sehr gut, dass Loreen ihren Triumph mit „Tattoo“ wiederholt – auch wenn der Titel weder der außergewöhnlichste noch der beste im Starterfeld ist.

10. Albanien: Albina & Familja Kelmendi - „Duje”

Familienausflug nach Liverpool: Die gebürtige Kosovarin Albina steht bei „Duje“ mit ihren Eltern und Geschwistern auf der Bühne. Manche Dinge sollten allerdings vielleicht besser in der Familie bleiben, denn ein akustischer oder optischer Höhepunkt ist dieser Beitrag nicht.

11. Italien: Marco Mengoni - „Due vite”

Italien ist eine sichere Bank für einen der vorderen Plätze beim Wettbewerb. Das mag an der Sprache liegen, in der auch Einspruchsbelehrungen zu Steuerbescheiden wie romantische Liebeserklärungen klingen. Marco Mengonis „Due Vite“ könnte auch von Eros Ramazotti gesungen werden. Ob das jetzt ein Kompliment oder eine Beleidigung ist, sollte jeder für sich entscheiden.

12. Estland: Alika - „Bridges”

Huch! Ein Autonomer auf der Bühne! Die Security kann gelassen bleiben. Es ist ein autonom spielender Flügel, der Alika aus Estland unterstützt, wenn die anderes zu tun hat, als am Klavier zu musizieren. Der Titel „Bridges“ ist angenehm unaufgeregt inszeniert und entfaltet gerade deshalb seine Wirkung. Komponist Wouter Hardy war übrigens auch für „Arcade“ verantwortlich, das niederländische Siegerlied des ESC 2019.

13. Finnland: Käärijä - „Cha Cha Cha”

Genug entspannt, jetzt wird es krawallig. Wie ein grüner Kobold springt der Finne Käärijä aus der Kiste und legt eine jener abgefahrenen Nummern hin, für die der ESC berühmt ist. In „Cha Cha Cha“, einem absolut irren Techno-Punk-Pop-Mix, geht es darum, sich nach einer harten Woche an der Bar ordentlich die Kante zu geben – und sich dann in Richtung Tanzfläche aufzumachen. Neben Loreen ist Kärijä bei den Buchmachern der zweite große Anwärter auf den Sieg.

14. Tschechien: Vesna - „My Sister’s Crown”

„We`re not your dolls“ steht auf der Riesenleinwand: Vesna aus Tschechien setzen mit „My Sisters Crown“ die Tradition von Sängerinnen wie ESC-Gewinnerin Netta aus Israel („Toy“) fort, die Power der Frauen zu betonen. Heraus kommt ein babylonisches Sprachgewirr. Der Text wird in Englisch, Tschechisch, Ukrainisch und Bulgarisch gesungen. Da ist für jedes etwas dabei. Auch für Gesundheitsminister Karl Lauterbach, wenn von Corona die Rede ist. Gemeint ist hier aber die Krone.

15. Australien: Voyager - „Promise”

Die weitesten Anreise nach Liverpool haben die Jungs von Voyager hinter sich. Die Band aus dem EU-Beitrittskandidatenland Australien (Scherz!!) hat den Song „Promise“ im Gepäck, kann aber ihr Versprechen musikalisch nicht so recht einlösen. Was bleibt, ist die Frage: Was in aller Welt soll das Auto auf der Bühne?

16. Belgien: Gustaph - „Because Of You”

Loreen ist die ESC-Seniorin 2023, bei den Herren lässt der 43-jährige Belgier Gustaph die Konkurrenz alterstechnisch hinter sich. Der Gute-Laune-Titel „Because of You“ erinnert ein bisschen an Gustaphs großes Vorbild Boy George, viel mehr aber an Mick Hucknall und seine Band Simply Red. Das gewisse eigenständige Etwas sucht man indes vergebens.

17. Armenien: Brunette - „Future Lover”

Ist der Fernseher falsch eingestellt oder lief bei der Tönung etwas schief? Brunette, die mit „Future Lover“ für Armenien antritt, scheint eher schwarze als braune Haare zu haben. Google weiß wie immer weiter: „Der Begriff „Brünett“ bezeichnet eine ganze Palette an Haarfarben von Hellbraun bis hin zu Schwarz.“ Aha. Ebenso verwirrend wie die Farbfrage ist der gesamte Auftritt samt seines, nun ja, exzentrischen Lichteinsatzes.

18. Moldau: Pasha Parfeni - „Soarele și luna”

Moldau ist immer für einen außergewöhnlichen ESC-Auftritt gut. So auch diesmal. Zunächst scheint Pasha Parfeni ungeniert die Ukraine-Beiträge 2021 und 2022 zu kopieren (samt nervendem Flötisten), dann aber entwickelt „Soarele şi Luna“ (Die Sonne und der Mond) ein faszinierendes Eigenleben.

19. Ukraine: Tvorchi - „Heart Of Steel”

Trotz der Erfolge mit „Shum“ und „Stefania“ geht die Ukraine musikalisch neue Wege. Angeblich soll es, so heißt es auf der ESC-Seite, um die „Standhaftigkeit der Menschen im Angesicht nuklearer Bedrohung“ gehen. Man braucht aber viel Fantasie, um diese Aussage aus Text herauszulesen. Applaus jedoch für jene Zeilen, die übersetzt heißen „manchmal musst du einfach wissen, wann du deinen Mittelfinger ausstreckst“. Diese „Grüße“ gehen wohl ins aggressive Nachbarland.

20. Norwegen: Alessandra - „Queen Of Kings”

Den „King of Queens“ kennen wir aus der gleichnamigen TV-Serie. Die „Queen of Kings“ wiederum wird von Alessandra für Norwegen besungen. Die Mittanz- und Mitstampfnummer bleibt allerdings höchstens wegen der Tänzer, die hektisch mit Leuchten winken und irgendwie wie Flugzeugeinweiser auf Droge wirken, in Erinnerung.

21. Deutschland: Lord Of The Lost - „Blood & Glitter”

Grüße von Lordi, Moleskin und Rammstein: Deutschland versucht es nach den ESC -Misserfolgen der jüngeren (und inzwischen leider auch mittelalten) ESC-Vergangenheit mit einer Mischung aus Rock, Heavy Metal und Glitter. Das kommt in Liverpool erstaunlich gut an – aber letztlich entscheiden natürlich nicht die Zuschauer in England über die Endplatzierung. Trotzdem die kühne Prognose: Da ist diesmal mehr drin als der vorletzte oder letzte Platz.

22. Litauen: Monika Linkytė - „Stay”

Monika Linkytė will es noch einmal wissen. 2015 trat sie, damals im Duett, schon einmal für Litauen an und erreichte mit „This Time“ Platz 18. Diesmal versucht Linkytė es mit dem Song „Stay“ alleine. So richtig catchy ist das alles nicht, auch wenn laut Eurovision-Experten zum ersten Mal in der ESC-Geschichte die uralte Musiktradition der Sutartinės in einen Beitrag einfließt. Doch für so viel Musiktheorie rund um ein immartielles Welterbe der Unesco ist es mit Startnummer 22 doch schon reichlich spät am Abend.

23. Israel: Noa Kirel - „Unicorn”

Würden nur die Schotten abstimmen, hätte Noa Kirel den Sieg sicher, besingt sie doch das Wappentier der Highlander, das Einhorn. In „Unicorn“ geht es – wieder einmal – um die Kraft, die in einem steckt. „Wollt Ihr mich tanzen sehen“, fragt Kirel das Publikum und legt dann eine Performance hin, die ihresgleichen sucht. Aber dies hier ist ja kein Tanzwettbewerb…

24. Slowenien: Joker Out - „Carpe Diem”

Die Band Joker Out“ hat einen Sieg beim ESC nicht nötig, um die Karriere zu starten, denn in ihrer Heimat sind sie schon jetzt absolute Stars. Entsprechend gelassen gingen die Fünf beim Halbfinale auf die Bühne – und legten einen rundum überzeugenden Auftritt hin.

25. Kroatien: Let 3 - „Mama ŠČ!”

Kurz vor Schluss wird es jetzt noch einmal schrill. Let 3 aus Kroatien bieten „Mama ŠČ!“ dar. Ebenso skurril wie der Titel ist der Auftritt, den man wohl eher eine „Performance“ nennen sollte. Politische Meinungskundgebungen sind beim ESC zwar verboten, aber die Darbietung in Form einer Militärparade unterwandert dieses Gebot. Hinzu kommt der Text. Hier geht es um einen Traktor, den „Mama“ gekauft hat – eine Anspielung eines entsprechenden Geschenks von Weißrusslands Machthaber Lukaschenko an seinen russischen Amtskollegen Putin zum 70. Geburtstag.

26. Großbritannien: Mae Muller - „I Wrote A Song”

Die undankbare Aufgabe, als letzter Teilnehmer ins Rennen zu gehen, hat in diesem Jahr Mae Muller für Großbritannien. Das Vereinigte Königreich hofft natürlich, nach der Rolle als einspringender Gastgeber des ESC 2023 in diesem Jahr den Wettbewerb zu gewinnen und dann ganz offiziell 2024 noch einmal auf die Insel einzuladen. Mae Muller, die „I Wrote A Song“ darbietet, wurde übrigens 1997 geboren, dem Jahr, in dem Großbritannien zum letzten Mal beim ESC Platz 1 belegte. Ein gutes Omen?