Als das Hochwasser über Ahrbrück hereinbrach, entkam Ehepaar Bauer nur knapp dem Tod. Das eigene Haus stürzte zusammen. Jetzt berichten sie von ihrem Schicksal in der Flutnacht.
AHRBRÜCK. Die Szene ist so irreal, ja kitschig, dass die Katastrophe für sie zur Kulisse schrumpft. Friedhelm und Grit Bauer stehen vor dem Trümmerhaufen, der vor ein paar Tagen ihr Haus war. Sie sind nach einigem Zögern zurück in die Dorfmitte von Ahrbrück gekommen, um den Zeitungsleuten von ihrem Schicksal in der Flutnacht zu berichten.
Beim Blick auf die Trümmer ihrer Existenz wird Friedhelm Bauer plötzlich gewahr, dass der Anbau an das Erdgeschoss anscheinend nicht eingestürzt ist. Das Badezimmer liegt hier und die Tür scheint zugänglich zu sein. „Die Ringe“, entfährt es Bauer, um sich in Badelatschen den Weg durch Matsch und Schutt zu bahnen. „Halt, stopp“, ruft eine Polizistin zwei Ruinen weiter: „Sie dürfen da nicht rein. Einsturzgefahr!“.
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Vergeblich. Friedhelm Bauer ist längst hinter der Tür verschwunden, um wenige Minuten später mit den beiden Eheringen zurückzukehren. Die Ringe sind noch verschlammt als Bauer sie seiner Frau Grit triumphierend entgegenhält. Umarmung, Tränen, Schnitt.
...aber das hier ist kein Film
In einem Drehbuch für einen anspruchsvollen Film wäre diese Szene wohl nicht durchgegangen. Aber das hier ist kein Film. Es ist die Banalität des kleinen Glücks nach dem großen Glück des Überlebens in der monströsen Katastrophe. Der großen Vernichtung, die selbst diejenigen noch nicht richtig begreifen können, die sie getroffen hat. „Wir wollten eigentlich so schnell nicht wieder herkommen“, sagt der 54-jährige Briefträger. Der Patenonkel hat dem Paar eine leerstehende Wohnung in einem der Nachbarorte zur Verfügung gestellt, in die sich die beiden zurückgezogen haben.
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„Das Wasser stieg Mittwochabend in einer unglaublichen Geschwindigkeit“, erzählt Bauer. „Als es auch ins Obergeschoss eindrang, sind meine Frau und ich mit den beiden Katzen auf den Speicher und durch die Luke aufs Dach“. Als offenbar immer wieder ganze Baumstämme gegen die Rückwand des Hauses knallten, fühlten sich die beiden auch auf dem Dach ihres Hauses nicht mehr sicher: „Ich hatte die Eingebung, dass das Fachwerkhaus unseres Nachbarn dieser Gewalt besser standhalten könnte“, sagt Bauer. Keine zwei Minuten nachdem sie auf das angrenzende Dach überwechselten, riss es ihr eigenes Haus mit einem Ruck weg.
Niemand mag den beiden in diesem Moment in Erinnerung rufen, dass auf der anderen Seite der Ahrbrücke - 200 Meter Luftlinie von hier - zur selben Stunde sieben Menschen ums Leben kamen, als der gewaltige Strom die zwei Häuser vor der Kirche wegriss. Nicht alle Leichen sind bisher geborgen.
Mit dem Handylicht Richtung Hubschrauber
„Wir sind dem Tod regelrecht von der Schippe gesprungen“, sagt Bauer. Er versucht dem Geschehenen durch Erzählen näherzukommen - oder es von sich zu schieben, wer weiß das schon. Grit Bauer (46) schweigt dagegen, die Altenpflegerin scheint kaum anwesend zu sein. Kurz vor Mitternacht erreichte Bauer endlich den Notruf und erklärte, dass sie nur durch einen Hubschrauber zu retten seien.
Immer wenn in dieser Nacht ein Hubschrauber über der apokalyptischen Szenerie zu hören war, reckte Bauer sein Handylicht in die Luft. Die Retter steuerten aber offenbar andere Orte an der Ahr an.
„Seither hatten wir pausenlos Glück“
Fünf, sechs unendlich lange Stunden später entschieden die beiden, einige Dachpfannen abzunehmen, vom Dach zu steigen und auf das Flachdach des unversehrten Anbaus zu wechseln. Als gegen Mittag noch immer keine Hilfe kam, als das Wasser deutlich gesunken und die Strömung nicht mehr so reißend war, trauten sich die beiden, sich durch das Wasser selbst an Land zu bringen - nicht ohne ihre beiden Katzen.
„Seither hatten wir pausenlos Glück“, sagt Friedhelm Bauer. Der Onkel nimmt sie in die leerstehende Wohnung auf. Verwandte und Freunde bringen ihnen Klamotten und auch Möbel. Sein Arbeitgeber, die Deutsche Post, stellt ihnen für mehrere Wochen ein Auto zur Verfügung. „Wir geben inzwischen schon an andere ab“, sagt Bauer - als wolle er sich klarmachen, dass es anderen doch viel schlechter gehe. Die Spendenaktion der Zeitungsleser und ihren Erfolg findet er überwältigend. Zuerst aber müssten andere bedacht werden, die es nötiger hätten.
Die Empörung von vorhin, dass Plünderer das 120 Kilo schwere Stromaggregat geklaut haben müssten, ist schon wieder gewichen. Dann guckt Friedhelm Bauer auf sein Haus, also auf den Schuttberg, der davon übrig ist, und sagt: „Ich möchte das am liebsten nicht mehr sehen.“ Friedhelm und Grit Bauer werden nicht nur auf materielle Unterstützung angewiesen sein, um sich wieder im Leben einzurichten - irgendwie.