Die Ampel steht: SPD, Grüne und FDP haben gemeinsam ihren Koalitionsvertrag präsentiert. Welche Parteien welches Ministerium besetzen – und was sie sich vorgenommen haben.
Von dpa
Christian Lindner (FDP), Olaf Scholz (SPD), Annalena Baerbock und Robert Habeck (beide Grüne) bei der Verkündung des Koalitionsvertrags ihrer Parteien.
(Foto: dpa)
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BERLIN - Deutschland steht nach 16 Jahren Regierung Angela Merkel vor einem historischen Wechsel zu einer rot-grün-gelben Ampel-Regierung. SPD, Grüne und FDP haben sich am Mittwoch über einen Koalitionsvertrag verständigt. Zwei Monate nach der Bundestagswahl legten sie damit den Grundstein für die erste Ampel-Bundesregierung. "Die Ampel steht", sagte der voraussichtliche künftige Kanzler Olaf Scholz in Berlin. "Uns eint der Wille, das Land besser zu machen", betonte er. Es gehe nicht um eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners, "sondern um eine Politik der großen Wirkung", sagte Scholz. "Wir wollen mehr Fortschritt wagen."
Als ein "Dokument des Mutes und der Zuversicht" bezeichnete der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck den Koalitionsvertrag. "Das Leitbild dieser Regierung ist eine handelnde Gesellschaft, ein investierender Staat und ein Deutschland, das schlichtweg funktioniert." FDP-Chef Christian Lindner betonte: "Was jetzt gebildet wird, ist eine Regierung der Mitte, die das Land nach vorn führt." Ziel aller drei Parteien sei es, "den Status quo zu überwinden". Lindner sagte voraus, dass Scholz ein "starker Bundeskanzler" werde.
Den Koalitionsvertrag (1MB) können Sie hier herunterladen.
Im Koalitionsvertrag wurde unter anderem Folgendes festgeschrieben: Die Mietpreisbremse soll verlängert werden. Zudem soll in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt die Miete binnen drei Jahren nur noch bis zu 11 Prozent steigen dürfen statt wie bisher bis zu 15 Prozent. Stromkunden sollen entlastet werden, indem zum 1. Januar 2023 die Finanzierung der milliardenschweren EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms über den Strompreis abgeschafft wird.
Kernpunkte des Koalitionsvertrags
Mindestlohn: Der gesetzliche Mindestlohn soll von derzeit 9,60 Euro auf 12 Euro pro Stunde steigen.
Mieten: Die Mietpreisbremse soll verlängert und verschärft werden. In Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt soll die Miete binnen drei Jahren nur noch bis zu 11 Prozent steigen dürfen statt wie bisher bis zu 15 Prozent.
Energiekosten: Zum 1. Januar 2023 soll die Finanzierung der milliardenschweren EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms über den Strompreis abgeschafft werden.
Homeoffice: Wer im Homeoffice arbeitet, soll auch im kommenden Jahr noch eine besondere Pauschale bei der Steuererklärung geltend machen können.
Staatsverschuldung: Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse soll ab 2023 wieder eingehalten werden.
Nahverkehr: In den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs soll mehr Geld gesteckt werden.
Bahnreform: Zwischen den größten Städten sollen Züge künftig im Halbstundentakt fahren, Umsteigezeiten sollen deutlich verkürzt werden.
Elektroautos: Die Lademöglichkeiten für Elektroautos sollen schneller ausgebaut werden.
Drogen: Cannabis soll für Erwachsene künftig zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften erhältlich sein.
Flüchtlinge: Mehr Flüchtlinge sollen künftig ihre Angehörigen zu sich nach Deutschland holen können.
Bundeswehr: Der Truppe soll die Bewaffnung von Drohnen ermöglicht werden.
Rüstungsexporte: Die deutschen Rüstungsexporte sollen mit einem neuen Gesetz effektiver beschränkt werden.
Atomare Abrüstung: Die grundsätzliche deutsche Ablehnung des Atomwaffenverbotsvertrags der Vereinten Nationen soll aufgegeben werden - eine Abweichung von der bisherigen Nato-Linie.
Wahlalter: Das Mindestalter für die Teilnahme an Bundestagswahlen soll von 18 auf 16 Jahre gesenkt werden.
Erneuerbare Energien: Bis 2030 soll Deutschland 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen. Bislang galt das Ziel, bis 2030 einen Anteil von 65 Prozent erreicht zu haben.
Führerschein: SPD, Grüne und FDP wollen das Mindestalter zum Erwerb eines Pkw-Führerscheins senken und begleitetes Fahren bereits ab 16 statt wie bisher mit 17 Jahren ermöglichen.
Zum Schutz der Bundeswehr-Soldaten bei Auslandseinsätzen soll eine Bewaffnung von Drohnen ermöglicht werden. Die deutschen Rüstungsexporte sollen mit einem neuen Gesetz effektiver beschränkt werden. In der Asylpolitik wurde vereinbart, dass mehr Flüchtlinge künftig ihre Angehörigen zu sich nach Deutschland holen können.
Den gesetzlichen Mindestlohn wollen SPD, Grüne und FDP von jetzt 9,60 Euro auf 12 Euro pro Stunde erhöhen. Sie verständigten sich zudem auf die Bildung eines neuen Bundesministeriums für Bauen. Vorgesehen ist auch eine Erweiterung des Wirtschaftsministeriums um das Thema Klimaschutz. Bis 2030 soll Deutschland 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen. Die Ampel-Parteien wollen den öffentlichen Nahverkehr stärken und dazu vom kommenden Jahr an die sogenannten milliardenschweren Regionalisierungsmittel erhöhen.
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SPD, Grüne und FDP vereinbarten ferner, dass die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ab 2023 wieder eingehalten werden soll. Im kommenden Jahr müssten aber wegen der andauernden Pandemiefolgen noch einmal neue Kredite aufgenommen werden. Kommunen mit hohen Altschulden sollen entlastet werden.
Der Koalitionsvertrag muss bei SPD und FDP jeweils durch Parteitage und bei den Grünen in einer Mitgliederbefragung gebilligt werden. Die rund 125.000 Grünen-Mitglieder sollen nach Parteiangaben ab diesem Donnerstag in einer digitalen Urabstimmung auch über das Personaltableau der Partei, also vor allem die Besetzung von Ministerämtern, entscheiden.
Scholz-Wahl am 6. Dezember
Nach dem Zeitplan der drei Parteien soll Scholz in der Woche ab dem 6. Dezember im Bundestag zum Kanzler gewählt werden. Damit endet nach 16 Jahren die Ära von Angela Merkel (CDU), die bei der Bundestagswahl am 26. September nicht wieder kandidiert hatte. Die Kanzlerin und ihre Ministerinnen und Minister von Union und SPD trafen sich am Mittwoch zu ihrer möglicherweise letzten Kabinettssitzung. Merkel erhielt von Scholz einen Blumenstrauß. Anschließend versammelte sich das Kabinett zu einem Gruppenfoto auf einer Treppe im Kanzleramt.
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Auch über die Verteilung der Ressorts verständigten sich SPD, Grüne und FDP. Die SPD wird mit Olaf Scholz künftig den Kanzler stellen und zudem sechs Ministerien bekommen, die Grünen fünf und die FDP vier. Die SPD übernimmt das Innen- und Verteidigungsministerium, ein neu geschaffenes Bauministerium, sowie die Ressorts Gesundheit, Arbeit und Soziales sowie wirtschaftliche Zusammenarbeit. Auch den Kanzleramtsminister wird sie stellen. An die Grünen gehen ein neu geschaffenes Wirtschafts- und Klimaministerium, das Außenministerium sowie die Ressorts Umwelt/Verbraucher, Agrar/Ernährung und Familie. Die FDP bekommt das Finanz-, Verkehrs-, Bildungs- und das Justizministerium.
Der FDP-Bundesvorstand benannte dafür Parteichef Lindner (Finanzen), Generalsekretär Volker Wissing (Verkehr), den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer Marco Buschmann (Justiz) und die Parlamentarische Geschäftsführerin Bettina Stark-Watzinger (Bildung).
Diese Besetzung geht aus dem Koalitionsvertrag vom Mittwoch hervor:
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Die Koalitionsverhandlungen hatten am 21. Oktober begonnen, nachdem die drei Ampel-Parteien zuvor in Sondierungen den Grundstein dafür gelegt hatten. Nach dem üblichen Rhythmus von Bundestagswochen käme das Plenum in der Nikolauswoche erstmals am 8. Dezember zusammen. Sollte dann die Kanzlerwahl stattfinden, wären seit der Bundestagswahl 73 Tage vergangenen. Zum Vergleich: Nach der Wahl 2017 dauerte die Regierungsbildung 171 Tage - so lange wie nie zuvor. Vier Jahre vorher waren es 86 Tage gewesen. Dagegen kam die erste und die zweite rot-grüne Bundesregierung von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) 1998 und 2002 jeweils in nur 30 Tagen zustande.
In einer ersten Reaktion sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Ralph Brinkhaus: "Wir erkennen nicht den Aufbruch." Es gebe großzügige Versprechungen - etwa einen sozialpolitischen "Ausgaben-Wumms" - aber es fehle an der Gegenfinanzierung. "Wir sehen nicht, wie das finanziell untermauert ist", sagte der CDU-Politiker.
Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Der Koalitionsvertrag trägt eine gelbe Handschrift." Zum ersten Mal werde eine Bundesregierung inhaltlich von einer 11,5-Prozent-Partei geführt. Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla nannte die geplante Ampelkoalition dagegen ein "linkes Projekt", bei dem die FDP nur als "Anhängsel" diene.
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Dieser Artikel wurde ursprünglich am 24.11.2021 um 08:50 Uhr publiziert.