Was erwarten Wählerinnen und Wähler von der nächsten Bundesregierung? Heute spricht Konzertpianist Jens Barniek über die Corona-Krise und ausgefallenen Musikunterricht an Schulen.
TAUNUSSTEIN. In diesem Raum atmet alles Musik: Im Zentrum stehen zwei Flügel, an der Wand ein Bücherregal voller Literatur rund um Musik, an einer zweiten Wand ein Regal mit CDs. Daneben ein kleiner Sitzplatz. Doch zum Gespräch nimmt Jens Barniek ganz auf einer der Klavierbänke Platz und schiebt ein paar Noten zur Seite. Gerade ist der Konzertpianist aus Taunusstein dabei, sich auf ein Konzert am 1. Oktober in Kleve vorzubereiten – zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys. Der wird dort zwei Wochen lang unter dem Titel „ZEIT im Beuys´Land“ gefeiert und die Veranstaltungen drehen sich um „Kunst und Klimawandel“.
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Womit Barniek ganz elegant den Bogen von der Musik zur Politik geschlagen hat. Wie kann Musik angesichts des Klimawandels zu mehr Nachhaltigkeit beitragen? Sehr intensiv hat sich der Taunussteiner Künstler mit dieser Frage befasst. Musik habe einen Bildungsauftrag, sagt er, „man darf sich nicht zu schade sein, in allen Möglichkeiten zu denken“.
Musik immer auch Politik
Musik müsse raus aus ihrer elitären Ecke, steht für ihn fest, und er zitiert den Komponisten Charles Ives, für den Musik immer auch Politik war. Also wird Barniek in Kleve ein Auftragswerk eines amerikanischen Komponisten spielen, dazu John Cage, aber auch Robert Schumanns „Der Vogel als Prophet“. Das passe sehr gut zu diesem Thema, sagt er verschmitzt lächelnd.
Mit Blick auf die Bundestagswahlen stellt der Musiker fest, dass er „im Moment einige Politiker nicht beneide“. Die Morddrohungen gegen Andersdenkende sind für ihn ein Beweis dafür, dass die Spaltung in der Gesellschaft immer sichtbarer werde. Barniek vermisst in der Politik langfristige Ansätze statt des „Denkens nur von Wahl zu Wahl“. Von der nächsten Regierung erwartet er eine „Stabilisierung im Finanzsektor und mehr Transparenz“, ganz konkret ein strenges Lobby-Register.
Jens Barnieks Leben dreht sich um die Musik. Er gibt Klavierabende auf der ganzen Welt. Neben der solistischen Konzerttätigkeit ist er Liedbegleiter und Kammermusikpartner bekannter Musiker, so am 19. September bei einem Auftritt mit dem Bassbariton Lukas Eder im Rahmen des Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ im Haus am Dom in Frankfurt. Barnieck veröffentlicht Künstlerbiografien und ist Stipendiat der Hessischen Kulturstiftung. Dies nutzt er dazu, sein Projekt über den jüdischen Komponisten Friedrich Gernsheim aus Worms voranzutreiben. Im Dezember soll dazu seine dritte Gernsheim-CD erscheinen.
Auch der Musiker hat eineinhalb schwere Jahre hinter sich. „Corona hat reingehauen“, stellt er fest. Konzerte wurden abgesagt, er hielt sich mit Klavierunterricht über Wasser. Das gehe via Internet ganz gut, hat er festgestellt. Von einer Kollegin übernahm er einige Schüler. Die nämlich hat aufgegeben und arbeitet jetzt in der Altenpflege. Was Barniek noch von viel mehr Kolleginnen und Kollegen weiß. Die Kulturbranche sei in der Pandemie „nicht beachtet“ worden, stellt er fest. Die Kultur sei in einem Graben zwischen der Landes- und Bundespolitik einfach verschwunden: Niemand habe sich dafür verantwortlich gefühlt, Künstlern in dieser Zeit zu helfen. Auch nicht in Taunusstein. Dabei sei die Kultur- und Kreativwirtschaft nach der Auto- und der Chemieindustrie der drittgrößte Wirtschaftszweig im Land.
Kultur als Staatsziel ins Grundgesetz
Was Barniek Sorge bereitet, ist die generelle Missachtung seines Metiers. So habe es wegen Corona in den Grundschulen keinen Musikunterricht mehr gegeben, alle Kinder hätten im Zeugnis die Note 2 bekommen. Für ihn ein „Skandal“ und Beweis dafür, dass in der Bildungspolitik nicht erst seit Corona vieles falsch läuft. Bildung müsse im öffentlichen Bewusstsein an erster Stelle kommen, wünscht er sich.
Und noch einen Wunsch hat der Pianist aus Taunusstein: Kultur müsse als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden. Auch wenn dies keine Garantie für eine Verbesserung sei. Er verweist auf den Tierschutz im Grundgesetz. „Trotzdem gibt es immer noch Massentierhaltung.“
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Von Mathias Gubo