Mit einer großen Krankenhausreform will Gesundheitsminister Lauterbach das System vor dem Kollaps bewahren. In Hessen und Rheinland-Pfalz stoßen seine Pläne auf ein geteiltes Echo.
Wiesbaden/Mainz. Alle sind sich einig: Es muss etwas passieren. 20 Jahre nach seiner Ökonomisierung durch das Fallpauschalensystem steht das Krankenhauswesen in Deutschland vor dem finanziellen Kollaps. Mehr als die Hälfte der Kliniken schreibt derzeit tiefrote Zahlen. Schuld sind vor allem die starren Finanzierungsregeln, die weder für große Gesundheitskrisen wie die Corona-Pandemie gemacht sind, noch eine Antwort auf plötzlich steigende Preise geben. Hinzu kommt der dramatische Personalmangel. Zugleich stellt sich die Frage, ob es nicht zu viele Kliniken in Deutschland gibt. Jedenfalls gehört das deutsche Krankenhaussystem zu den teuersten weltweit. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Krankenhausfinanzierung deshalb komplett umbauen.
Auch in Hessen und Rheinland-Pfalz ist die Situation dramatisch. Nach nunmehr bald drei Corona-Jahren und zuletzt teilweise exorbitanten Kostensteigerungen stehen viele Häuser finanziell wie personell mit dem Rücken zur Wand. Die Hessische Krankenhausgesellschaft (HGK) hat wiederholt vor einer Insolvenzwelle gewarnt, in Rheinland-Pfalz sieht es kaum anders aus. In beiden Ländern haben in den vergangenen Jahren schon mehrere Kliniken aufgegeben. Der Geschäftsführende Direktor der HKG, Steffen Gramminger, begrüßt den Vorstoß Lauterbachs deshalb im Grundsatz: „Der Reformvorschlag verfolgt durchaus richtige Ansätze.” Unbedingt erforderlich sei aber „primär eine unmittelbare Stabilisierung der Finanzlage”. Sonst sei in zwei Jahren nichts mehr vorhanden, auf dem man neu aufbauen könne.
Wenn nicht bald etwas passiert, droht vielen Kliniken die Insolvenz
Kern des Reformkonzepts ist die weitgehende Abkehr von den Fallpauschalen: Einen erheblichen Teil des Geldes sollen Kliniken fortan ohne den Nachweis einzelner Behandlungen bekommen, als „Vorhaltepauschale”. Lauterbach spricht von einer „Revolution” im System: „Die Medizin wird wieder in den Vordergrund gerückt und folgt nicht mehr der Ökonomie.” Außerdem will er die Krankenhäuser in mehrere Klassen („Level”) einteilen: Die Basis sollen Häuser der Grund- und Notfallversorgung bilden, ferner gäbe es Kliniken für die „Regel- und Schwerpunktversorgung”, während an der Spitze der Pyramide „Maximalversorger” wie die Unikliniken stünden. Über die Zuteilung von „Leistungsgruppen” soll dann festgelegt werden, welche Kliniken welche Behandlung anbieten.
Die Medizin wird wieder in den Vordergrund gerückt und folgt nicht mehr der Ökonomie.
Das ist schon kompliziert genug. Hinzu kommt, dass die Länder mit am Tisch sitzen, da sie für die Krankenhausplanung und die Finanzierung der Klinikinvestitionen zuständig sind. Der Bund organisiert über die Krankenkassen das Geld für den laufenden Betrieb. Lauterbach hat eine aufkommensneutrale Reform angekündigt. Einen ersten Gesetzentwurf will er noch vor der Sommerpause präsentieren. Anfang Januar hat der Bundesgesundheitsminister sich mit seinen Länderkollegen zu einem ersten Austausch getroffen. Danach hieß es, man wolle an einem Strang ziehen.
Bund und Länder reden bei der Krankenhausreform mit
Wer bei Ländern und Krankenhausgesellschaften nachfragt, merkt allerdings schnell, dass es eine ganze Reihe von Konfliktpunkten gibt. Der hessische Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne) sagt, bei den Plänen handele es sich „um einen ersten Schritt – es bleiben aber zahlreiche Fragen offen”. Unstrittig erscheint zumindest die Abkehr von den Fallpauschalen. Andreas Wermter, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz (KGRP), findet das „grundsätzlich positiv”. Gramminger erklärt für die hessischen Kliniken: „Auf jeden Fall richtig. Wir benötigen einen Teil der Budgets für die Sicherung der Versorgung.” Gerne wird der Vergleich mit der Berufsfeuerwehr bemüht, die auch nicht nach der Zahl ihrer Einsätze bezahlt werde.
Reicht es, das vorhandene Geld unter den Kliniken neu zu verteilen?
Das Problem liegt nach Einschätzung der Praktiker jedoch tiefer. Es reiche nicht, das vorhandene Geld neu zu verteilen, sagt Gramminger. Es müsse ganz klar mehr Geld ins System. „Personalkosten und andere Kosten wurden seit Jahren nicht mehr komplett abgebildet, von der Inflation 2022 ganz zu schweigen.” Auch der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) lehnt den Kostendeckel seines Parteifreundes Lauterbach ab. „Aufgrund der verbreiteten gravierenden Defizite muss die Finanzierung auf einem deutlich höheren Niveau als heute erfolgen”, fordert er. Sonst bestehe die Gefahr, dass während der Umsetzung der Reform notwendige Angebote aufgrund von Klinikinsolvenzen wegbrächen und damit die flächendeckende Versorgung gefährdet wäre. Ein anderes Thema ist, darauf weist Lauterbach gerne hin, dass die meisten Länder über viele Jahre ihren Investitionspflichten nur unzureichend nachgekommen sind.
Aufgrund der verbreiteten gravierenden Defizite muss die Finanzierung auf einem deutlich höheren Niveau als heute erfolgen.
Wie dramatisch die Lage vieler Kliniken ist, zeigen Zahlen des Deutschen Krankenhausinstituts. Demnach dürfte der Anteil der Häuser mit einem positiven Jahresergebnis 2022 auf 20 Prozent gesunken sein (2021: 44 Prozent); 59 Prozent schlossen das Jahr mit roten Zahlen ab (2021: 43 Prozent). Für Rheinland-Pfalz meldet die KGRP 65 Prozent Kliniken mit Verlusten und 21 Prozent mit Gewinnen. Geschäftsführer Wermter: „Aus diesen Zahlen wird augenfällig, dass der Status quo nicht als Basis einer Reform dienen kann, in der das vorhandene Finanzvolumen lediglich umverteilt wird.”
Die Kliniken warnen: Es droht ein „kalter Strukturwandel”
Dazu passt – als eines von vielen möglichen Beispielen – die Budgetplanung des Klinikums Darmstadt, des eigentlich gut aufgestellten Maximalversorgers in Südhessen: Dort ist man 2022 noch mit einem blauen Auge (leicht negatives Ergebnis) davongekommen. Für 2023 rechnet das Management jedoch mit tiefroten Zahlen, weshalb der Darmstädter Klinikdezernent André Schellenberg sich genötigt sah, eine Erhöhung des Eigenkapitals um 15 Millionen Euro anzukündigen. Das heißt: Die kommunalen Träger springen in die Bresche. HKG-Direktor Gramminger: „Das kann auf Dauer keine Lösung sein.” Die Reform werde wahrscheinlich erst 2025 greifen. „Die Frage ist: Wie überleben wir die nächsten zwei Jahre? Wenn es hier keine Zwischenlösung gibt, wird einer Klinik nach der anderen die Luft ausgehen.“ Woran das System krankt, zeigt eine weitere Zahl: 2023 steigt die Vergütung über die Fallpauschalen in Hessen um 4,23 Prozent; die laufenden Kosten dürften aber mindestens um das Doppelte nach oben gehen. Gramminger befürchtet deshalb einen „kalten Strukturwandel”.
Die Frage ist: Wie überleben wir die nächsten zwei Jahre?
Lauterbachs zweiter Reformansatz ist die Einteilung der Kliniken in „Level” und damit verbunden die Definition, welche Klinik welche Leistungen anbieten darf. Das stößt beiderseits des Rheins auf Skepsis. Zwar sei es grundsätzlich sinnvoll, dass nicht mehr jeder alles macht. Doch lasse sich das nur schwer am Schreibtisch entscheiden und schon gar nicht in Berlin, heißt es unisono. So verweist der Mainzer Gesundheitsminister Hoch darauf, dass es in Rheinland-Pfalz schon seit 2016 Versorgungsstufen gebe. Diese strukturierten die Kliniklandschaft und hätten sich bewährt, seien aber nicht mit dem „Level”-Modell Lauterbachs kompatibel.
Die Bundesländer fordern Ausnahmeregelungen
Hoch fordert deshalb die Möglichkeit länderspezifischer Abweichungen, sonst drohten „Verwerfungen”. Er verweist auf Fachkrankenhäuser, die ihre hoch spezialisierten Leistungen sonst aufgeben müssten. Als Beispiel nennt Hoch Perinatalzentren zur Versorgung von Frühgeborenen. In Rheinland-Pfalz sei nur jedes zweite davon bei einem Krankenhaus der Maximalversorgung (Level 3) angesiedelt, wo es nach Lauterbachs Plänen hingehört. Oder das Bürgerhospital in Frankfurt: Dort werden pro Jahr mehr als 100 Frühchen mit Erfolg behandelt, obwohl die Klinik kein Maximalversorger ist. Gramminger: „Sollen wir diese Aufgabe deshalb dem Bürgerhospital wegnehmen? Das wäre eine Katastrophe.“
Klar ist allen Beteiligten: Ohne einen Strukturwandel wird es nicht gehen. Es werden Kliniken verschwinden oder sich zumindest stark verändern. „Wir brauchen aber einen gesteuerten Strukturwandel und nicht einen ungesteuerten durch Klinikinsolvenzen”, fordert Gramminger. Natürlich hat hier die Politik ein großes Wort mitzureden. Denn welcher Landrat will sich schon vorwerfen lassen, er habe die Schließung „seiner” Kreisklinik zugelassen? Eine Perspektive für kleinere Häuser könnte der unterste Level in Lauterbachs Klinik-Pyramide sein: Das sind Krankenhäuser „zur intersektoralen Versorgung” ohne Notaufnahme. Dort sollen Patienten zum Beispiel nach ihrer OP kuriert werden, diese Häuser müssten nicht mehr zwingend von Ärzten geleitet werden. Aber auch hier dürfte der Teufel im Detail stecken.