Bewegung im Fall Lübcke: Anklage und neues Geständnis erwartet

Stephan Ernst, der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, wird am 2. Juli nach einem Haftprüfungstermin beim Bundesgerichtshof abgeführt. Archivfoto: dpa

Vor einem halben Jahr wurde Kassels Regierungspräsident Walter Lübcke erschossen. Nun will sich der Hauptverdächtige Stephan Ernst offenbar erneut äußern.

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WIESBADEN / KASSEL / DRESDEN. Es war eine Tat, die das Land schockierte: Am 2. Juni wird der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (65) auf der Terrasse seines Hauses ermordet. Eine Revolverkugel in den Kopf verletzt den CDU-Politiker tödlich. Der mutmaßliche Schütze Stephan Ernst sitzt seit Monaten in Untersuchungshaft. Doch wesentliche Fragen sind weiter offen. Handelte Ernst allein? War noch jemand am Tatort? Welche Rolle spielten die beiden Männer, gegen die wegen Beihilfe zum Mord ermittelt wird?

Antworten könnte es bald geben. Nach dpa-Informationen soll zum Jahreswechsel Anklage gegen die drei Verdächtigen erhoben werden. Außerdem will Stephan Ernst ein neues Geständnis ablegen. "Mein Mandant hat mich gebeten, dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof mitzuteilen, dass er ein ausführliches Geständnis abgeben möchte und nun endlich die Wahrheit über die Tatnacht ans Tageslicht bringen will", erklärte Pflichtverteidiger Frank Hannig am Donnerstag in Dresden. Mit dem Geständnis wolle Ernst "alle noch offenen Fragen über den Tathergang klären". Zuvor hatte der NDR darüber berichtet.

Welche neuen Erkenntnisse wird das Geständnis bringen?

Inwiefern Ernst etwas Neues sagen wird, ist offen. "Man wird kaum davon ausgehen können, dass Herr Ernst gar nichts mit der Tat zu tun hat", erklärte sein Anwalt dem NDR-Magazin Panorama: "Das heißt, die Erwartung, er würde jetzt plötzlich sagen, er war überhaupt nirgendwo dabei, dürfte unrealistisch sein." Der zuständige Generalbundesanwalt in Karlsruhe kommentierte die Ankündigung nicht.

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Laut einem von Ernst widerrufenen Geständnis war der Anstoß für die Tat Lübckes Haltung zu Flüchtlingen. Bei einer Bürgerversammlung im hessischen Lohfelden 2015 hatte Kassels Regierungspräsident auf Zwischenrufe gegen eine Erstaufnahme-Einrichtung für Asylbewerber gesagt: "Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist, das ist die Freiheit eines jeden Deutschen." Stephan Ernst soll damals dabei gewesen sein - und in den Folgejahren beschlossen haben, den CDU-Politiker deswegen zu töten.

Als dringend tatverdächtig gelten neben Stephan Ernst auch Markus H. und Elmar J., gegen die wegen Beihilfe zum Mord ermittelt wird. H. stellte demnach den Kontakt zu J. her, der Stephan Ernst die Tatwaffe verkauft haben soll. Den Männern soll zusammen der Prozess gemacht werden, zuständig wäre das Oberlandesgericht Frankfurt.

Dabei hat sich der Mord längst zu einer Angelegenheit von bundesweiter Bedeutung entwickelt. "Es ist ein ungewöhnlicher Fall, der auch die Befürchtung aufkommen lässt, dass das erst ein Anfang war", sagte die Kriminologin Britta Bannenberg. Die Professorin der Uni Gießen geht davon aus, dass weitere rechte Zellen aktiv sind. "Wenn aus politischen, ideologischen oder fanatischen Motiven getötet wird, ist das besorgniserregend, weil es Signale an andere sendet."

Der Hass, der sich vor und nach der Tat im Internet entlud, sei gefährlich. "Man muss die zunehmend geäußerten Hassbotschaften ernst nehmen als Vorboten der Gewalt", erklärte Bannenberg. Hetze sei ein Riesenproblem, auf das nicht immer richtig reagiert werde. "Man muss das gesamte Phänomen im Blick haben und sollte nicht reflexartig härtere Strafen fordern. Diese führen nicht automatisch zu mehr Ermittlungen." Bannenberg fordert mehr Ermittler, vor allem bei den Staatsanwaltschaften.

Nach der Anklage könnten mögliche Versäumnisse der hessischen Verfassungsschützer untersucht werden. Dabei geht es um die Frage, warum Stephan Ernst in den Jahren vor der Tat vom Radar des Verfassungsschutzes verschwand. "Der Untersuchungsausschuss wird kommen", sagte Hermann Schaus, Landtagsabgeordneter der Linken in Hessen. Man warte jedoch bis zur Anklageschrift, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Allerdings wird die Linke allein diesen nicht einleiten können. Die SPD hält sich noch bedeckt.

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Die rechte Szene steht seit dem Mord verstärkt unter Beobachtung. "Ich bin insgesamt sehr skeptisch, ob die rechte Szene sich dadurch hat verunsichern lassen", sagt Reiner Becker, Leiter des Demokratiezentrums der Uni Marburg. Die Reaktionen nach dem Mord hätten gezeigt, dass die Szene selbstbewusst sei - und bleibe. Als Beispiel nennt er die NPD-Demo gegen kritische Journalisten am vergangenen Wochenende in Hannover. "Das ist qualitativ nochmals eine wesentliche Verschärfung."

Von dpa