Über 70.000 Unterschriften haben die Initiatoren für mehr Radwege und mehr ÖPNV gesammelt. Ausgerechnet der grüne Wirtschaftsminister weist den Gesetzesentwurf dazu nun zurück.
WIESBADEN. Das von mehr als 70.000 Wahlberechtigten unterzeichnete Volksbegehren für ein hessisches Verkehrswendegesetz ist von der Landesregierung als verfassungswidrig eingestuft worden. Das teilte Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) am Mittwoch mit. Die Initiatoren kritisierten die Entscheidung als einen „einen schweren Schlag für die direkte Demokratie in Hessen“.
Das überparteiliche Bündnis, dem Organisationen wie der Verkehrsclub Deutschland, der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club, der Fachverband Fußverkehr Deutschland und verschiedene Radentscheid-Initiativen angehören, fordert eine soziale und ökologische Verkehrswende, das Ziel sei eine „zukunftsfähige Mobilität in Hessen“. Dazu gehöre ein Anteil von 65 Prozent für die umweltfreundlichen Verkehrsarten bis 2030, eine flächendeckende Versorgung mit ÖPNV-Angeboten als Teil der Daseinsvorsorge, zudem mehr, breitere und sichere Fuß- und Radwege, Barrierefreiheit und mehr Verkehrssicherheit.
Ende August hatte das Bündnis die gesammelten Unterschriften Al-Wazir übergeben – nach einer großen Fahrrad-Sternfahrt auf der Autobahn 66 von Frankfurt nach Wiesbaden. Wenige Tage später hatte der Landeswahlleiter bestätigt, dass das Volksbegehren die Zahl der für das Quorum erforderlichen Unterschriften deutlich überschritten habe. In einer Landtagsdebatte in der vergangenen Woche äußerten sich mit Ausnahme der AfD alle Fraktionen im Grundsatz positiv über die Initiative.
Verkehrswende-Bündnis erwägt jetzt eine Klage
Um die gesetzlich vorgesehene zweite Phase der Unterschriftensammlung beginnen zu lassen, war eine Überprüfung des Gesetzestextes durch die Landesregierung erforderlich, diese fiel nun negativ aus. Der Gesetzentwurf entspreche nicht der Verfassung, begründete Al-Wazir die Entscheidung des Kabinetts. So gehe der Text über die Zuständigkeit des Landes hinaus: Durch Eingriffe in die Straßenverkehrsordnung und die Eisenbahninfrastruktur sei die Gesetzgebungskompetenz des Bundes berührt. Außerdem werde mit „unbestimmten Rechtsbegriffen operiert“, weshalb der Gesetzentwurf „wegen fehlender Bestimmtheit gegen das Rechtsstaatsprinzip“ verstoße. Deshalb „war leider keine andere Entscheidung möglich“, stellte Al-Wazir nicht ohne Bedauern fest.
Die Initiatoren reagierten mit Unverständnis. Man habe den Gesetzentwurf von mehreren Juristen auf die Verfassungsmäßigkeit hin prüfen lassen. „Wir gehen wir davon aus, dass die Entscheidung einer gerichtlichen Prüfung nicht standhalten wird und erwägen, rechtliche Schritte gegen sie einzuleiten“, erklärte Stephan Voeth, eine der drei Vertrauenspersonen der Initiative. „Wenn das Volksbegehren, ähnlich wie viele kommunale Bürgerentscheide zuvor, juristisch ausgehebelt wird, schwächt dies die verfassungsmäßig vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten durch direkte Demokratie in Hessen nachhaltig“, kritisierte Katalin Saary, ebenfalls Vertrauensperson des Volksbegehrens.
Mit dem negativen Bescheid ist die Initiative gestoppt, eine „Heilung“ durch Nachbesserungen ist nicht möglich, das Verfahren müsste von vorne beginnen. Es sei denn, die Initiative klagt mit Erfolg gegen den Bescheid der Landesregierung.
Opposition kritisiert die Entscheidung gegen das Volksbegehren
Al-Wazir versuchte am Mittwoch, den enttäuschten Aktivisten eine Brücke zu bauen. „Jenseits aller juristischen Diskussionen“ habe die Landesregierung gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen die inhaltliche Diskussion mit den Vertrauensleuten des Volksbegehrens begonnen. Diese Gespräche würden fortgesetzt, „um die Möglichkeit auszuloten, sich auf einen verfassungskonformen Gesetzentwurf zu einigen“.
Die Landtagsopposition kritisierte die Entscheidung gegen das Volksbegehren. Das bei der Übergabe der Überschriften geäußerte Ministerlob für die Initiative habe sich „als blanke Heuchelei entpuppt“, sagte der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Tobias Eckert. Jenseits der Frage, wie stichhaltig die verfassungsrechtlichen Bedenken seien, stelle die Zurückweisung „einen Rückschlag für das Bemühen dar, in Hessen endlich eine moderne, sozial und ökologisch verträgliche Verkehrsinfrastruktur aufzubauen“.
Der Vorsitzende der Linken-Fraktion, Jan Schalauske, forderte die Landesregierung auf, die zentralen Ziele des Volksbegehrens aufzunehmen, statt auf ihre bisherigen Taten zu verweisen. Die seien nämlich von einer echten Verkehrswende – mit Vorfahrt für Rad- und Fußverkehr sowie Bus und Bahn – weit entfernt.