Dieser Preis ist unangenehm. Vor allem für die hessischen Grünen, die eigentlich im Ruf stehen, Bürgerrechtspartei zu sein. Es geht um den Big-Brother-Award, der am Freitag...
WIESBADEN. Dieser Preis ist unangenehm. Vor allem für die hessischen Grünen, die eigentlich im Ruf stehen, Bürgerrechtspartei zu sein. Es geht um den Big-Brother-Award, der am Freitag in Bielefeld verliehen wurde, eine zweifelhafte Ehre, die alljährlich jenen zuteil wird, die nachhaltig die Privatsphäre von Personen beeinträchtigen. In der Kategorie „Politik“ hat es jetzt Schwarz-Grün in Hessen erwischt: Die beiden Regierungsparteien haben einen Entwurf für ein Verfassungsschutzgesetz vorgelegt, in dem die Jury einen tiefen Eingriff in die Grundrechte sieht.
Unangenehm für die Grünen ist die Preisverleihung auch deshalb, weil sie am heutigen Samstag ihren Listen-Parteitag haben: In Fulda geht es darum, wer auf welchem Platz für die Landtagswahl am 28. Oktober kandidiert. Spannend wird sein, wie viele Mitglieder für jene Bewerber stimmen, die an der Gesetzesnovelle mitgestrickt haben: Jürgen Frömmrich etwa, der innenpolitische Sprecher der Landtagsfraktion, oder auch der Fraktionsvorsitzende Mathias Wagner.
In Bielefeld hat die „Laudatio“ Rolf Gössner gehalten. Der Anwalt hat am eigenen Leib erfahren, wie schmerzhaft Eingriffe in die Grundrechte sein können. Der 70-Jährige war 38 Jahre lang vom Verfassungsschutz überwacht worden. Rechtswidrig, wie das Oberverwaltrunsgericht Nordrhein-Westfalen urteilte.
Die schwarz-grüne Gesetzesinitiative sei ein „großer Schritt in Richtung präventiv-autoritärer Sicherheitsstaat“, hat Gössner gesagt. Geplant sei, dass der Verfassungsschutz vorbestrafte V-Leute oder Geheimnisträger wie Ärzte und Journalisten anheuern dürfe. Auch Daten über Minderjährige wolle Schwarz-Grün sammeln lassen. Und künftig soll dem Verfassungsschutz der Einsatz von Spionage-Programmen gestattet sein, um Computer und Smartphones zu durchsuchen.
„Das Gesetz ist nicht beschlossen“, so die Reaktion von Jürgen Frömmrich auf die Verleihung des Negativ-Preises. Einige Regelungen seien in der Landtagsanhörung als zu weitgehend kritisiert worden. „Das nehmen wir Grünen ebenso ernst wie den Beschluss unseres Landesparteitags zu dem Thema“. Der hatte im November die Fraktion aufgefordert, auf die Einführung von „digitalen Waffen“ für den Verfassungsschutz zu verzichten. Man verhandele „mit unserem Koalitionspartner intensiv über Änderungen“, so Frömmrich.
Der Partner kann die Preisverleihung entspannter sehen. „Hessen stärkt seine Sicherheitsbehörden mit neuen Befugnissen und definiert klare Grenzen“, so die CDU. Mit dem neuen Gesetz würden rechtliche Befugnisse geschaffen, die im Kampf gegen Extremismus benötigt werden. Wie wichtig eine effektive Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten, Polizei und sonstigen Sicherheitsbehörden sei, hätten nicht zuletzt die schrecklichen Anschläge in Nizza, Barcelona oder Berlin gezeigt.
Von Christoph Cuntz