Ahrflut: Auch Hubschraubercrew belastet Innenministerium

Die Flutkatastrophe hat - wie hier in Ahrbrück - 2021 enorme Schäden verursacht. Zu spät wurde die Bevölkerung gewarnt. Foto: Lukas Görlach

Am Freitag hat vor dem U-Ausschuss die Hubschrauberbesatzung ausgesagt, die am Tag der Flut über das Ahrtal geflogen ist. Ihre Aussagen widersprechen denen des Innenministeriums.

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MAINZ. Sie waren bei einsetzender Dämmerung in der Luft, mit einem Hubschrauber, bei widrigstem Wetter, heftigen Regenfällen. Während der Ahrflut. Ein Flug unter extremen Verhältnissen, den nur äußerst erfahrene Piloten durchführen können. Die Besatzung des rheinland-pfälzischen Polizeihelikopters „Sperber 2“ flog am Abend des 14. Juli 2021 über das Ahrtal – und dokumentierte die verheerenden Auswirkungen der Katastrophe. Am Freitag nun hat die Besatzung im Untersuchungsausschuss des Landtages ausgesagt und schilderte eindrücklich dramatische Szenen.

Der Hubschrauber startete um 21.47 Uhr und erkundete die Ahr von der Mündung bei Sinzig bis zum Oberlauf beim Dorf Schuld, in dem zu diesem Zeitpunkt bereits sechs Häuser eingestürzt waren. Die Besatzung des Hubschraubers bestand aus drei Männern: einem Piloten, einem Flugtechniker und einem Spezialisten für Videoaufnahmen. Der Flugtechniker war während des Einsatzes unter anderem dafür zuständig, Funkkontakt mit der Polizei zu halten – oder nach dem Flug mit dem Innenministerium zu kommunizieren. Bei seiner Zeugenvernehmung vor dem U-Ausschuss sagte er: „Je tiefer wir ins Ahrtal geflogen sind, desto schlimmer wurde die Lage. Es waren dramatische Szenen, die sich uns dargestellt haben.“

Keine Möglichkeit zur Rettung aus der Luft

Es habe Menschen auf Dächern gegeben, die mit Taschenlampen Hilferufe an den Hubschrauber morsten. Eine Möglichkeit auf Rettung aus der Luft habe es aber keine gegeben. Der Hubschrauber habe nicht über eine Seilwinde zur Menschenrettung verfügt. „Auch die Feuerwehr ist wegen der starken Strömung nicht mehr an die Häuser gekommen. Selbst mit Booten wäre das ein Himmelfahrtskommando gewesen“, so der Flugtechniker. Eine Katastrophe dieses Ausmaßes habe die erfahrene Crew niemals zuvor erlebt, bestätigte sie.

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Seine Eindrücke hatte der Flugtechniker nach der Landung telefonisch dem Innenministerium übermittelt, eindringlich, mit Nachdruck, wie alle Beteiligten im U-Ausschuss bestätigten.

Über das Telefonat mit dem Ministerium sagte er aus: „Ich habe mit einem Kollegen im Innenministerium gesprochen und ihm gesagt, dass das die schlimmste Lage ist, die Rheinland-Pfalz jemals heimgesucht hat. Ich habe ihm dann erklärt, dass er dafür sorgen müsse, jeden Polizeibeamten ins Ahrtal zu bestellen.“ Weil zudem „Bilder mehr als tausend Worte“ sagen würden, habe er dem Mitarbeiter im Ministerium noch drei Fotos übermittelt – Fotos von gefluteten Dörfern, die er mit seinem Handy aufgenommen hatte. „Danach hatte ich das Gefühl, genug getan zu haben, damit die Mechanismen im Hintergrund anlaufen.“

Diskussionen über Leichensäcke per Funk

Dieses Telefonat muss sich zwischen 23 und 23.30 Uhr zugetragen haben. Gegen 0.30 Uhr startete die Besatzung erneut zu einem Flug über das Ahrtal, um ein von der Flut erfasstes Auto zu suchen – erfolglos. Auf diesem Flug verfolgte der Flugtechniker auch Funksprüche der Polizei vor Ort. „Am Funk wurde zu dieser Zeit bereits über Leichensäcke diskutiert. Uns wurde dadurch klar, dass den Leuten demnach bewusst ist, wie schlimm die Lage wirklich ist“, berichtete der Flugtechniker vor dem U-Ausschuss.

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Die Hubschrauberbesatzung hatte während ihres ersten Fluges die in den vergangenen Wochen viel diskutierten Videos aufgenommen, die laut Innenministerium aufgrund eines internen Dokumentationsfehlers bei der Polizei mehr als 14 Monate in den Archiven verschwunden waren. Der Flugtechniker erklärte: „Solche Videoaufnahmen machen wir standardmäßig. Als wir in die Lage hineingeflogen sind, war sofort klar, dass wir hier dokumentieren müssen.“

Die Aussagen der Hubschrauberbesatzung erhöhen einmal mehr den Druck auf das Innenministerium. Die Mitarbeiter des Ministeriums, die in der Flutnacht im Dienst waren, hatten bei ihren Vernehmungen vor dem U-Ausschuss ausgesagt, dass sie erst nach 3 Uhr ein erstes belastbares Lagebild von der Ahr vorliegen gehabt hätten. Bis dahin seien sie nur von einem starken, aber keinem außergewöhnlichen Hochwasser ausgegangen, hatten gleich mehrere Mitarbeiter ausgesagt. Auch jener, der nachweislich mit dem Flugtechniker gegen 23 Uhr telefoniert hatte.

Alle Infos zur Aufarbeitung der Ahrflut finden Sie in unserem Dossier.

Innenminister Roger Lewentz ist am Mittwoch von seinem Amt zurückgetreten – aufgrund massiver Vorwürfe gegen sich und sein Ministerium rund um die Ahrflut.