U-Ausschuss zur Ahrflut: Landrätin belastet Vorgänger Pföhler
Die neue Landrätin des Kreises Ahrweiler, Cornelia Weigand, sagte im U-Ausschuss aus, dass sie schon am Mittag vor der Flut den Katastrophenfall ausrufen lassen wollte. Vergeblich.
MAINZ. Es soll am Tag nach der Ahr-Flut gewesen sein, vielleicht auch zwei Tage danach. So genau erinnern konnte sich Cornelia Weigand nicht mehr, damals Bürgermeisterin der stark vom Hochwasser betroffenen Verbandsgemeinde Altenahr. Jedenfalls erhielt sie in diesen Tagen einen Anruf von Jürgen Pföhler, seinerzeit Landrat im Kreis Ahrweiler. Gegenüber der Staatsanwaltschaft Koblenz gab Weigand über den Inhalt des Telefonats an: "Pföhler sagte mir: ,Es war schön, dich kennengelernt zu haben. Aber die nächsten vier Jahre will ich dich nicht mehr sehen'." Am Freitag nun trat Weigand, inzwischen Nachfolgerin von Pföhler im Landratsamt, als Zeugin vor den U-Ausschuss des Landtages. Angesprochen auf ihre Aussage bei der Staatsanwaltschaft sagte sie aus: "Ja, man sieht daran, ich war sicher nicht seine beliebteste Bürgermeisterin. Vielleicht war er auch einfach traumatisiert von der Nacht."
15.30 Uhr Prognose für eine Jahrhundertflut
Vergangenes Jahr hat in der Nacht auf den 15. Juli eine bis zu zehn Meter hohe Flutwelle mehr als 130 Menschen mit in den Tod gerissen. Tausende Häuser wurden von den Wassermassen zerstört. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit August gegen Ex-Landrat Pföhler. Verdacht: fahrlässige Tötung in mehreren Fällen. Der Kreis Ahrweiler hatte erst um 23.09 Uhr den Katastrophenfall ausgerufen - obwohl die Flut bereits ab 17 Uhr am Oberlauf der Ahr für die Feuerwehren nicht mehr zu kontrollieren war und Menschen aus lebensbedrohlichen Lagen gerettet werden mussten.
Weigand erklärte gegenüber dem U-Ausschuss, dass sie bereits viel früher die Kreisverwaltung aufgefordert hatte, Katastrophenalarm auszurufen: "Gegen 15.30 Uhr habe ich mit meinem stellvertretenden Wehrleiter die Pegelprognose von 5,50 Meter gesehen. Das war unglaublich." Bei dem Jahrhunderthochwasser an der Ahr im Jahr 2016, bei dem Menschen per Hubschrauber gerettet werden mussten, lag der Pegel bei 3,71 Meter. "Mein stellvertretender Wehrleiter hat sofort gesagt, ich soll den Kreis bitten, den Katastrophenalarm zu schlagen."
Eine verhängnisvolle Absage
Um 16.18 Uhr rief Weigand laut Telefonprotokoll im Landratsbüro an. Dort erhielt sie die Antwort, dass Landrat Pföhler nicht im Haus sei. Sie wurde an seine rechte Hand, an Erich Seul, durchgestellt. "Der sagte mir nach meiner Aufforderung, dass man das erst prüfen müsse. Vorerst passiere deshalb nichts." Eine verhängnisvolle Absage, wie sich im Nachgang herausstellte. Im U-Ausschuss beschrieb Weigand, dass sich in ihr ein Gefühl "der Enttäuschung" nach dem Anruf breitmachte. "Mit dem Ausruf des Katastrophenfalls hätten wir die Möglichkeit gehabt, frühzeitig Hubschrauber anzufordern, um Menschen zu retten. Bei einer Prognose von über fünf Meter war klar, dass wir die brauchen werden."
Erst kurz vor Mitternacht fand ein direkter Kontakt zwischen Weigand und Pföhler statt. "Pföhler hat mir bei diesem Anruf erzählt, dass er gerade sein eigenes Haus räumen musste, er hat viel verloren in der Nacht. Ich habe ihn dann irgendwann unterbrochen, um ihm Situation der Dörfer in meiner Verbandsgemeinde zu schildern." Weigand beschrieb Pföhlers Gemütszustand bei diesem Telefonat als "offensichtlich erregt".
Weigand berichtete bei ihrer Vernehmung zudem, dass sie nach 16.20 Uhr, nach dem gescheiterten Anruf bei der Kreisverwaltung, mit dem Landesamt für Umwelt (LfU) in Mainz Kontakt aufnahm. "Ich wollte mit bestätigen lassen, dass die Pegelprognose von 5,50 Meter realistisch ist", erklärte Weigand ihr Tun. Gegen 17.30 Uhr bekam sie die Bestätigung.
Sie erhielt einen "markanten Anruf"
Dann, gegen 18.30 Uhr, erhielt Weigand einen "markanten Anruf", wie sie es rückblickend nannte. Am anderen Ende der Leitung war Thomas Bettmann, Abteilungsleiter für Hydrologie des LfU, einer der höchsten Wasserexperten im Land sozusagen. "Herr Bettmann sagte mir so etwas wie: ,Ich kann Sie beruhigen, der Hauptniederschlag kommt nicht an der Ahr herunter'. Er könne die Pegelprognosen auf vier Meter herunterkorrigieren." Weigand reichte aber ein Blick auf die Ahr, um zu begreifen, dass diese Entwarnung nicht greifen könne. "Der Pegel hier ist gestiegen und gestiegen. Das habe ich Herrn Bettmann auch deutlich mitgeteilt." Eine halbe Stunde später korrigierte das LfU seine Hochwasserprognose wieder nach oben.
Gegen 23.30 Uhr erreichte der Pegel im Dorf Altenahr die Zehn-Meter-Marke. Eine unvorstellbare Situation. Weigand: "Irgendwann war einfach klar, dass viele, viele Menschen in einer absoluten Notsituation sind. Und in dieser Lage dann die Info zu bekommen, dass es keine Hubschrauber zu Rettung gibt, ja, das war eine spezielle Situation." Weil der Katastrophenalarm zu spät ausgelöst worden ist.