Radio, das wirklich jeder versteht: Erfolgreiches Projekt in Marburg

Mit Unterstützung des Medienwissenschaftlers Vincent Fröhlich (Mitte) senden Studierende zusammen mit Menschen mit Lernschwierigkeiten jeden Monat "Radio in leichter Sprache". Foto: Coordes
MARBURG - Die bundesweit einzige Radiosendung in leichter Sprache geht in Marburg über den Äther. Studierende und Menschen mit Lernschwierigkeiten managen dort das Projekt bei "Radio Unerhört".
Den Konflikt um Nordkorea so einfach zu beschreiben, dass ihn wirklich jeder versteht, ist "unfassbar anspruchsvoll", sagt Julian Turner. Aber genau das macht der Lehramtsstudent zusammen mit Dave B., den er als Betreuer beim Verein zur Förderung und Inklusion behinderter Menschen unterstützt. Die beiden gehören zu den ehrenamtlichen Radiomachern, die Beiträge für das "Radio in leichter Sprache" produzieren. "Es ist doch blöd, wenn ein Teil der Menschen nichts versteht", erklärt Dave sein Engagement.
Die Idee für die Radiosendung stammt aus dem Modellprojekt "Inklusion bewegt". Dort hatten sich junge Leute mit Lernschwierigkeiten Radio mit Musik und Wortbeiträgen gewünscht, die auch für sie verständlich sind. Medienwissenschaftler Dr. Vincent Fröhlich von der Philipps-Universität Marburg griff die "Super-Idee" auf und entwickelte ein Konzept: "Wir denken in der Wissenschaft immer sehr abstrakt", erklärt er. "Da mussten wir umdenken."
In seinen Seminaren lernten die Studierenden daher nicht nur die Technik des Radiomachens. Mithilfe des Zentrums für leichte Sprache der Lebenshilfe und zwei Probehörern wurden sie auch in leichter Sprache geschult. Dabei wird fast nur in geraden Hauptsätzen gesprochen. Das ist allerdings so schwer, dass die Radiomacher meist in der sogenannten einfachen Sprache sprechen. Das ist etwa so, wie Kinder reden.
Seit zwei Jahren läuft die Magazinsendung mittlerweile, die jeden Monat am ersten und dritten Dienstag von 18 bis 19 Uhr auf 90.1 Megahertz ausgestrahlt wird. Unter den 20 Aktiven sind auch acht Menschen mit Behinderungen. Eine "Betroffenheitssendung" ist es allerdings ausdrücklich nicht. Schließlich richtet sich die Sendung auch an Zugewanderte und Flüchtlinge, sagt Rebekka Gilbert von "Radio Unerhört".
Julian Turner und Dave B. sind für die Rubrik "Politik auf den Punkt" zuständig. Da erklären sie in einfachen Worten, was es etwa mit Kürzungen im Sozialbereich, dem Haushaltsplan der Stadt Marburg oder den Wahlprogrammen der Parteien auf sich hat. "Es geht oft auch um politische Entscheidungen, die Menschen massiv betreffen, die aber nicht den Zugang dazu haben", erklärt Turner. Es gibt einen Pop-Dolmetscher, der englische Songs ins Deutsche übersetzt. Lokale Sportvereine werden präsentiert. Restaurants werden auf ihre Eignung für Menschen mit Behinderungen untersucht. In der Rubrik "Marburg lacht" erzählen Menschen Witze. In der "Beatles-Box" werden Beatles-Songs vorgestellt. Neuerdings gibt es auch Hörspiele und Märchen, die in wechselnden Rollen gelesen werden. In leichte Sprache umgeschrieben hat sie ein junger Mann mit Sehbeeinträchtigung.
Turner hat viele Sendungen gemeinsam mit Schülern der Richtsberg-Gesamtschule gemacht - zum Beispiel Beiträge zu Vorurteilen, Hip-Hop, Fremdheit und Computerspielen. Beim "Kinderkommando" sind Grundschüler aktiv, die lokale Bands porträtieren. Die Drittklässler erzählen ohne große Anstrengung so, dass sie gut zu verstehen sind.
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Marburg gehörte schon 2013 zu den ersten Städten in Deutschland, die Informationen in leichter Sprache veröffentlichten. Auf ihren Internetseiten werden die Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten, das Rathaus und das Stadtfest vorgestellt. Dabei sind die Sätze kurz, Fremdworte tabu, lange Worte werden mit Trennstrich lesbar gemacht. Es gibt unter anderem einen Stadtrundgang in leichter Sprache, der sich an Menschen richtet, die in der deutschen Sprache nicht heimisch sind, an Schulen mit Intensivklassen und an Menschen mit Lernschwierigkeiten. Auch im Stadtmagazin "Studier mal Marburg" gibt es regelmäßig Beiträge in leichter Sprache - etwa über die Busangebote, die Wahlen in Hessen oder den Eispalast.