Der frühere Schiedsrichter Lutz Wagner ist dennoch ein großer Freund des Videobeweises, mit dem ihm mancher Fehler nicht passiert wäre: Am Mittwoch spricht er am Böllenfalltor.
DARMSTADT. Lutz Wagner kommt immer noch viel rum: Der frühere Bundesliga-Schiedsrichter ist ein gefragter Referent, wenn es um Themen rund um die Unparteiischen geht, und auch in der freien Wirtschaft wird er oft eingeladen, um vor Führungskräften zu sprechen. Dabei geht es im Kern immer um ein Thema: Entscheidungen zu treffen und sie dann auch zu vertreten. An diesem Mittwoch ist Wagner in Darmstadt, ab 19 Uhr hält er im Stadion am Böllenfalltor einen Vortrag über das Schiedsrichterwesen.
50 bis 60 Mal im Jahr ist Wagner als Referent in Unternehmen eingeladen, hinzu kommen Schulungen für Schiedsrichter und auch mal für Journalisten. Es geht dabei oft um Neuerungen, zumal er immer noch als Schiedsrichterbeobachter tätig ist und an Bundesliga-Wochenenden meistens bei zwei Spielen die Analyse macht. Es geht aber auch immer mal um böse Schnitzer, die natürlich auch ihm passiert sind. "Wenn ich darüber sprechen würde, würde das eine Zwei- bis Drei-Tagesveranstaltung", sagt er lachend. Schließlich gab es zu seiner Zeit noch keinen Videobeweis, der ihn vor krassen Fehlentscheidungen bewahrt hätte. Mit diesem "Rettungsschirm", wie er den VAR nennt, wären manche seiner Fehler ganz sicher einkassiert worden.
Danach gefragt, was denn sein schlimmster Fauxpas gewesen sei, muss der 59-Jährige nicht lange überlegen. Es war am 7. Mai 2008, Hamburger SV gegen Werder Bremen. Werder-Torwart Tim Wiese sprang in Kung-Fu-Manier HSV-Spieler Ivica Olic fast gegen den Hals, doch allzu viel Aufregung gab es nicht. "Olic hat weitergespielt, auf dem Platz gab es kaum Diskussionen", erinnert sich Wagner. Nach dem Spiel schaute er sich die Szene noch einmal im Fernsehen an - und revidierte seine Meinung. "Eigentlich hätte ich dafür gleich zweimal Rot geben müssen."
In Darmstadt wird er diese Szene wohl nicht zeigen, aber es wird andere strittige Situationen zu sehen geben. Die Zuschauer können mit - übrigens originalen - Gelben und Roten Karten ein Votum abgeben. Das interaktive Konzept kommt an. "Die Zuschauer entwickeln ein Gespür dafür, wie es ist, zeitnah entscheiden zu müssen", sagt der in Hofheim im Taunus lebende Wagner. Am Ende gibt es dann jeweils eine Auflösung, davor werden jedoch alle Argumente ausgiebig ausgetauscht.
Trotz Videobeweis ist Wagner indes sicher, dass es niemals eine 100-prozentige Gerechtigkeit geben wird. "Es ist unmöglich, alle Fehler zu beseitigen", sagt er, "es wird immer Situationen geben, die nicht nur schwarz oder nur weiß sind". Dennoch sei der Videobeweis eine gute Sache, "denn wenn wir nur noch drei statt zehn Fehler machen, sind das 70 Prozent Verbesserung". Was ja nicht schlecht ist.
Wagner wird in Darmstadt aber auch demonstrieren, dass die Unparteiischen im berüchtigten "Kölner Keller" ganz eigene Probleme haben. "Manche Szene sieht von der einen Seite so aus, von der anderen Seite dann aber ganz anders. Und manchmal kommt es auch einfach nur darauf an, wann genau man die Szene anhält." Wer einmal so eine Entscheidung mitgetroffen habe, der wisse dann auch, wie es ist, wenn man selbst mal gefordert sei.
Und denkt in Zukunft vielleicht anders, wenn er mal wieder ganz sicher ist, dass der Schiedsrichter eine "Pfeife" ist.