Niklas Kaul krönt sich zum Zehnkampf-Europameister

Der Mainzer Niklas Kaul ist Zehnkampf-Europameister. Foto: dpa

Niklas Kaul ist Zehnkampf-Europameister. Der Mainzer gewinnt bei den Titelkämpfen in München in einem spektakulären Schlussspurt den Titel.

Anzeige

MAINZ/MÜNCHEN. Völlig fertig lag Niklas Kaul auf der Tartanbahn des Münchener Olympiastadion. Mit einem spektakulären Schlussspurt über 1500 Meter krönte sich der Mainzer zum Zehnkampf-Europameister. Danach kannte der Jubel im Stadion keine Grenzen. Der Sieger konnte es selbst nicht fassen, tanzte mit Deutschland-Fahne umher.

Vor dem finalen 1500-Meter-Lauf wurden die Nerven der Zehnkämpfer bis zum Maximum strapaziert. Vor dem Lauf klemmte die Startpistole. Der Start verzögerte sich um einige Minuten.

27 Sekunden, die entscheiden

27 Sekunden musste Kaul im abschließenden 1500-Meter-Lauf auf den Führenden Simon Ehammer (Schweiz) aufholen. Und der Ex-Weltmeister legte angefeuert vom frenetischen Publikum im Olympiastadion los wie die Feuerwehr, machte Sekunde um Sekunde gut, rannte allen Konkurrenten weg. Ganz hinten kämpfte der schwächere Läufer Ehammer – vergebens. Bei 4:10,06 blieb die Uhr bei Kaul stehen, fast 40 Sekunden später kam der Schweizer ins Ziel. Der EM-Titel für Niklas Kaul (8545 Punkte) vor Simon Ehammer (8468) und dem Esten Janek Oiglane (8346).

Anzeige

Aber der Reihe nach: Montagmorgen im Münchener Olympiastadion. Kaul startete fulminant, lief über 100 Meter so schnell wie noch nie. 11,16 Sekunden standen am Ende auf der Anzeigetafel. Und als anschließend Topfavorit Kevin Mayer aus Frankreich gleich in der ersten Disziplin mit Muskelbeschwerden aufgeben musste, schien der Weg zu EM-Gold frei für den Mainzer.

Doch im Weitsprung wurde klar, dass ihm Simon Ehammer diese nicht einfach überlassen wird. Der Schweizer, der bei der WM in Eugene bei den Spezialisten Bronze gewann, segelte bis auf 8,31 Meter. Kaul kam auf passable 7,10 Meter. Im Kugelstoßen dann der erste Gefühlsausbruch beim 24 Jahre alten Mainzer. Im dritten und letzten Versuch flog die Kugel auf 14,90 Meter. Bestleistung. Geballte Faust und Jubelschreie.

Der Hochsprung war nach seiner Verletzungserfahrung bei den Olympischen Spielen in Tokio eine der Zitterdisziplinen. Kaul meisterte alle Höhen im ersten Versuch. Bei 2,05 Meter ging er auf Nummer sicher und ließ den letzten Sprung aus. So standen am Ende eine Höhe von 2,02 Meter zu Buche. Zum Abschluss legte der Weltmeister von 2019 noch eine persönliche Bestleistung hin. 47,87 Sekunden über 400 Meter – noch nie war es Kaul vorher gelungen unter 48 Sekunden zu bleiben. So ließ es sich zufrieden schlafen. „Was mir hier hilft, ist, dass ich das Publikum dabei habe. Das wird mich am zweiten Tag hoffentlich etwas tragen“, sagte Kaul anschließend den anwesenden Journalisten in der Mixed Zone. „Es ist schön der Jäger zu sein."

Kaul pirscht sich heran

Der Gejagte: Simon Ehammer. Und mit dem lieferte sich Kaul am Dienstagmorgen einen echten Nervenkrimi beim 110-Meter-Hürdenlauf. Nach einem ersten Fehlstart des Schweizers wurde Arthur Abele wegen eines vermeintlichen erneuten Fehlstarts disqualifiziert. Tränen beim Routinier, der in München seinen Abschied von der Zehnkampf-Bühne feiern wollte. Nach einem Protest durfte der 36-Jährige doch noch weitermachen. Und ganz alleine Hürden laufen.

Anzeige

Für Kaul hieß es, keinen Fehlstart riskieren. „Das war weniger Angriff. Mehr Durchkommen“, bilanzierte Kaul am ARD-Mikro nach einer Zeit von 14,45 Sekunden über die Hürden. Ehammer dagegen flitzte mit 13,75 Sekunden vorne weg. Im Diskuswurf wollte Kaul zur Aufholjagd blasen. Doch hier erlebte der 24-Jährige einen Rückschlag. Nur 41,80 Meter – deutlich unter seiner Bestleistung. Auch Ehammer (34,92 Meter) schwächelte. Im Stabhochsprung dagegen performten die beiden Goldaspiranten. Für Kaul waren 4,90 Meter drin. Nur zehn Zentimeter unter Bestleistung. Doch Ehammer war mit 5,20 Meter noch stärker.

Im letzten Wurf fliegt der Speer wie bestellt

Die Attacke musste also im Speerwerfen kommen. Ehammer kam mit seinem besten Wurf nicht über 53,46 Meter hinaus. Die Chance für den Weltmeister von Doha. Und mit über 70 Meter ließ sich der Speerwurf gut an. Doch für Gold mussten es wohl noch ein paar Meter mehr sein. In Doha warf Kaul sogar 79,05 Meter. Und tatsächlich, angetrieben vom Münchener Publikum, feuerte er den Speer auf starke 76,05 Meter. Riesiger Jubel beim Lehramtsstudenten! Partystimmung auf den Tribünen. „Oh, wie ist das schön“, hallte es aus den Stadionboxen. Der Weg zum Titel war damit geebnet.

Kauls EM-Zehnkampf in Zahlen: 100 Meter: 11,16 Sekunden Weitsprung: 7,10 Meter Kugelstoßen: 14,90 Meter Hochsprung: 2,02 Meter 400 Meter: 47,87 Sekunden 110 Meter Hürden: 14,45 Sekunden Diskuswurf: 41,80 Meter Stabhochsprung: 4,90 Meter Speerwurf: 76,05 Meter 1500 Meter: 4:10,06 Minuten