Einzelhandel zwischen Hoffen und Bangen

Seit Montag greifen für den Einzelhandel erste Lockerungsschritte – wo es die Zahl der Neuinfektionen zulässt. Foto: dpa

Die zaghafte Öffnung erster Einzelhandelsgeschäfte nach monatelanger Schließung in der Pandemie ist am Montag durchwachsen ausgefallen. Händler, die bereits komplett...

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MAINZ / WIESBADEN. Die zaghafte Öffnung erster Einzelhandelsgeschäfte nach monatelanger Schließung in der Pandemie ist am Montag durchwachsen ausgefallen. Händler, die bereits komplett öffnen durften, meldeten hohes Kundeninteresse, zum Beispiel in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz. Zu einem verbreiteten Ansturm haben die ersten Lockerungen nach Angaben von Städten aber nicht geführt. Oft herrschte auch Zurückhaltung, in manchen Regionen klagten Händler und Kunden über verwirrende Regeln.

Seit Montag dürfen Geschäfte in den Bundesländern, Regionen und Städten wieder komplett öffnen, in denen die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz stabil bei unter 50 liegt – aber unter Auflagen wie Maskenpflicht und einer Begrenzung der Kundenzahl. Bei einer Inzidenz bis 100 darf nach Terminvereinbarung eingekauft werden. Im Handel ist die Sorge groß, dass bei steigenden Inzidenzzahlen die Geschäfte nach schon kurzer Zeit wieder schließen müssen.

In Hessen (landesweite Inzidenz: 68), Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt darf seit Montag mit Termin eingekauft werden, im Saarland flächenabhängig mit mehr Kunden als bisher. Auch in NRW ist Termin-Shopping („Click & Meet“) möglich. In Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern, Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein entscheiden die regionalen Zahlen, ob der Handel in einigen Regionen auf die Terminvergabe verzichten und ganz öffnen kann. In Thüringen ist die Öffnung des Einzelhandels wegen einer Inzidenz von über 100 vorerst vertagt. In Berlin war am Montag Feiertag.

In den Innenstädten machten sich die Lockerungen nach Beobachtungen des auf die Messung von Kundenfrequenzen spezialisierten Unternehmens Hystreet durchaus bemerkbar. Fast überall habe die Zahl der Passanten über denen vom Montag vergangener Woche gelegen. Am Nachmittag habe es einen Zuwachs zwischen 20 und 100 Prozent gegeben.

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Wie Kunden per „Click & Meet“ an Termine kommen, hängt vom Geschäft ab. Viele Firmen bieten online Reservierungen an. Der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof etwa bot am Montag über ein Buchungstool Einkaufszeiten von einer, zwei oder vier Stunden an.

Verkauf mit Terminvergabe

Auch die Elektronik-Händler Saturn und Media Markt öffneten ihre Läden. Beim schwedischen Möbelhaus Ikea hieß es: „Je nach Inzidenzlage ergeben sich verschiedene Szenarien für unsere Standorte.“ An einigen Standorten müssen sich die Kunden vor dem Besuch zur Terminvergabe über ein Buchungstool registrieren. Aber nicht überall konnten bereits für Montag Termine gebucht werden. Bei der größten deutschen Parfümeriekette Douglas soll dies von Dienstag an möglich sein. Auch Modefilialist Peek&Cloppenburg bereitet den Start der Terminvergaben vor.

In Rheinland-Pfalz reagierte der Einzelhandel mit Erleichterung auf die Lockerungen. „Das ist wie Weihnachten und Ostern zusammen“, sagte der Geschäftsführer des Handelsverbands Region Trier, Alfred Thielen. In Rheinland-Pfalz liegt die Sieben-Tage-Inzidenz landesweit knapp unter 50, der Einzelhandel darf deshalb unter Auflagen wieder öffnen – abgesehen von Germersheim, wo die Inzidenz über 100 liegt.

In den Innenstädten verzeichnete das Innenministerium zu Wochenbeginn ein „mäßiges bis leicht erhöhtes Personenaufkommen“, aufgrund der Zugangsbeschränkungen in den Geschäften kam es aber zum Beispiel in Mainz in den besonders frequentierten Bereichen der Fußgängerzone zu langen Schlangen. Die Mitarbeiter der Ordnungsämter seien schwerpunktmäßig in den Städten unterwegs, um die Einhaltung der Maskenpflicht und der Abstandsregeln zu kontrollieren, sagte Fabian Kirsch, Geschäftsführender Direktor des Städtetags Rheinland-Pfalz.

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Es sei richtig, dass bei der vorgesehenen Notbremse in Gebieten mit hohen Infektionszahlen auch Schließungen erforderlich würden, sagte der Geschäftsführer des Gemeinde- und Städtebundes Rheinland-Pfalz, Karl-Heinz Frieden. Wenn die Inzidenz an drei Tagen wieder über 50 liegt, ist Einkaufen wieder nur mit Termin möglich. „Wenn es dem Land gelingt, zusammen mit dem Einzelhandel eine effektive Teststrategie zu etablieren, können die Risiken des Shopping-Tourismus minimiert werden“, sagte Frieden – erwartet wird, dass zum Beispiel Kunden aus Hessen, wo die Läden noch nicht normal geöffnet sind, zum Einkaufen über den Rhein fahren. So wurden auch in den Mainzer Parkhäusern am Montag zahlreiche Autokennzeichen aus Hessen gesichtet.

Solche Befürchtungen hatte zum Beispiel die IHK Wiesbaden geäußert. Es sei für die Händler „kaum erklärbar, dass Geschäfte in Mainz wieder öffnen dürfen, in Wiesbaden aber nicht“, hatte Präsident Christian Gastl schon am Freitag erklärt. Gerade bei benachbarten Landeshauptstädten seien solche Unterschiede nicht nur für die Unternehmen ein Problem, sondern auch für den Gesundheitsschutz. Damit würden Betriebe, die eigentlich alle in der gleichen Notlage sind, gegeneinander ausgespielt, sagte Gastl: „Bei den Lockerungen wäre eine stärkere Abstimmung zwischen unmittelbar benachbarten Ländern sinnvoll, damit die Regeln auch noch nachvollzogen werden können.“